Zu Anfang diesen Jahres feierte die österreichische „Kronen Zeitung“ ihr hundertjähriges Bestehen. Nach dem Krieg vom Grazer Journalisten Hans Dichand mit bescheidenen Mitteln neu begründet, ist sie heute mit 2,8 Millionen Lesern die mit Abstand größte Tageszeitung Österreichs, mit einem Marktanteil, von dem andere europäische Medien nur träumen können. Politische Unabhängigkeit, das Gespür für die Stimmungen im Volk und die rechte Mischung zwischen Boulevard und Seriosität sind wohl die Hintergründe dieser einzigartigen Erfolgsgeschichte. Noch heute steht der 79-jährige Hans Dichand am Steuerruder seiner Zeitung; im folgenden Gespräch gibt er einiges von seinem geistigen Hintergrund preis.
Das Interview führte Mag. Wolfgang Dvorak-Stocker
Als ein Erfolgsgeheimnis der „Kronen Zeitung“ gilt, daß sie eine offene Zeitung ist, in der von den verschiedenen Kolumnisten und Redakteuren durchaus unterschiedliche Meinungen vertreten werden. Manchmal aber hat sie sich auch sehr vehement für bestimmte Anliegen eingesetzt – etwa im Natur- und Umweltschutz, Stichwort Hainburg – und damit einen gewichtigen Beitrag zur Meinungsbildung geleistet.
Zwei Bereiche gibt es nun, in denen die „Krone“ sich deutlich gegen den Zeitgeist stellt, was ihr auch immer wieder heftige Anfeindungen eingetragen hat. Vor allem um eine gerechte Bewertung der Wehrmachtssoldaten und der ganzen Kriegsgeneration war die „Krone“ immer sehr bemüht. Hängt dies auch mit Ihrem persönlichen Kriegserleben zusammen?
Dichand: Ja, ich glaube schon. So ein Kriegserlebnis prägt doch und wenn heute die ehemaligen Soldaten ungerecht behandelt werden, dann trete ich für sie ein. Ich halte es überhaupt für die Pflicht des Augenzeugen, dort zu korrigieren, wo unrichtige Bilder entstanden sind. Geschichte ist ja auch die Geschichte ihrer Fälschungen. Was zum Beispiel die Wehrmachtsausstellung betrifft, ist ja offenbar geworden, wie viele Fälschungen es gibt. Dabei hat man schon von Anfang an gewußt, daß diese Pseudo-Dokumentation aus einem Lager kommt, das in Fälschungen sehr geübt war. Aber selbst wenn jedes einzelne Bild gestimmt hätte, wäre das Konzept falsch gewesen. Man hätte die Schrecken des Krieges insgesamt und umfassend zeigen müssen und nicht einseitig.
Aber gab es in der Redaktion nie Diskussionen über dieses doch sehr deutliche Engagement der „Krone“?
Dichand: Freilich kann es sein, daß es bei uns unterschiedliche Meinungen gibt. Die kommen auch zum Ausdruck. Ein Mann wie Ernst Trost, der selber nicht im Krieg war, hat einfach eine zumindest um Nuancen andere Auffassung; die kann er auch ohne weiteres in seiner Kolumne vertreten. Auch Richard Nimmerrichter (Staberl) weicht manchmal ein Stück von der Herausgeber-Meinung ab; das ist mit der Bandbreite, die unsere Redakteure haben, vereinbar.
Auch das Schicksal der volksdeutschen Vertriebenen – Prof. Ermacora hat die Behandlung der Sudetendeutschen ja als objektiven Völkermord klassifiziert - haben Sie den Lesern Ihrer Zeitung immer wieder näher gebracht.
Dichand: Ich stimme mit Professor Ermacora voll überein. Der Krieg, die Nachkriegszeit, die Vertreibungen usw., all das wird meist sehr einseitig geschildert. Wir sind da ein einsames Korrektiv. Dabei haben wir das gute Gefühl, eine massive Mehrheit hinter uns zu haben. Ist nicht auch unsere Auflage ein starkes Indiz dafür?
Ein weiterer Bereich ist die katholische Kirche, bei der sich die „Krone“ nie an den modischen und wohl auch populären Kampagnen beteiligt hat, ja sogar der deutlich konservative Flügel – etwa Bischof Kurt Krenn – wird stets mit Sympathie behandelt.
Dichand: Persönlich bin ich zwar ein sehr seltener Kirchgänger, aber ich bin davon überzeugt, daß die Menschen Religion brauchen. Das kann auch der Buddhismus oder der Islam sein. Für uns ist es der Katholizismus und auch der Protestantismus. Ohne Religion kann unsere Gesellschaft nicht bestehen. Aus diesem Grund glaube ich, daß wir auch zur Institution Kirche halten müssen, trotz ihrer Fehler. Ich denke auch nicht, daß in all den Neuerungen, die von mancher Seite angestrebt und oft heftig verlangt werden, die Zukunft des Katholizismus liegt, sondern in einer sehr vorsichtigen Reform. Sicher sollte die Kirche in dem einen oder anderen Punkt stärker auf die Gegebenheiten unserer Zeit eingehen, aber es liegt im Wesen dieser Institution, daß dies langsam und vorsichtig geschehen muß.
Im Herbst nach der Nationalratswahl haben einige im Fettdruck präsentierte Stellungnahmen in der „Kronen Zeitung“ für erhebliche Aufregung in Österreich gesorgt. Unter der Überschrift „Von besonderer Seite“ wurde da massiv für eine Fortsetzung der Rot-Schwarzen Koalition geworben und ÖVP-Obmann Schüssel vorgeworfen, vor allem aus persönlichem Machtstreben einen Koalitionswechsel vorzubereiten. Was hat die „Kronen Zeitung“ bewogen, so massiv Stellung zu nehmen?
Dichand: Das war einfach ein wuchtiger Diskussionsbeitrag von außerhalb der Redaktion. Eine hochstehende Persönlichkeit hat sich da ihren Zorn von der Seele geschrieben und dem wollten wir eben auch graphisch Ausdruck verleihen.
Also, es kam von außerhalb der Redaktion?
Dichand: Ja, es gibt z. B. hohe Beamte, die nicht mit ihrem Namen aufscheinen können. Wir waren auch für Gegenmeinungen offen und haben so die Stellungnahme von Frau Minister Gehrer in gleicher Aufmachung gebracht. Haider oder andere hätten sich genauso melden können. Wir sind eine offene und unabhängige Zeitung und gerade deshalb sind wir für die über eine Million Haider-Wähler ein Forum geworden, das sie benützen, weil alle anderen sie ausgrenzen, was wir nie getan haben. So kommt es aber auch vor, daß wir manchmal anderer Meinung sind, zum Beispiel beim EU-Beitritt, wo wir sicher mitgeholfen haben, daß es zu einem solch positiven Ergebnis für die EU gekommen ist. In diesem Fall haben wir der Meinung einer schweigenden Mehrheit Raum gegeben, der Vision von einem Europa der Zusammenarbeit ohne Erbfeindschaften und Kriegen. Vielleicht ist es nur Sehnsucht und Traum ...
In Ihrer Autobiographie „Im Vorhof der Macht“ schreiben Sie in der Einleitung, wir lebten in einer „Periode des Umbruchs, die ich als eine Zwischenzeit sehe, ähnlich der Übergangszeit zwischen dem Mittelalter und der Neuzeit.“ Aus welchen Anzeichen schließen Sie das?
Dichand: Solche Zwischenzeiten hat es in der Geschichte ja immer wieder gegeben und die Merkmale waren stets sehr ähnlich. Wir haben uns von Gott sehr weit entfernt, wodurch die Werte, die Staat und Gesellschaft tragen, immer schwächer geworden sind. Die Korruption nimmt zu im Staat, der Egoismus bei den einzelnen, die mangelnde Nähe der Menschen zueinander. Wir spüren, dies kann so nicht weitergehen, ohne daß die Gesellschaft zerfällt. Sonst geraten wir zurück in eine Zeit, die es während der Menschwerdung gegeben hat, in einen Kampf jeder gegen jeden, in dem sich einzelne Gruppen, Großfamilien, Stämme ohne jede moralische und sittliche Hemmnisse gegenseitig bekämpft haben.
Ich bin aber zuversichtlich und glaube, daß nach dieser Zwischenzeit wieder etwas auf uns zukommt, das mehr Halt gibt und in der wesentliche Werte wieder gültig werden.
Meinen Sie, daß Europa nach dieser Zwischenzeit noch das Abendland sein wird, daß auch die grundsätzlichen Werte und Traditionen, die Europa bisher geprägt haben, weiterbestehen werden?
Dichand: Ich glaube schon, daß Europa bestehen wird und ich hoffe, daß es einiger sein wird als jetzt. Wir stehen ja erst am Anfang, aber wir erkennen die Notwendigkeit einer solchen Einheit. Wir können nicht immer nur das Anhängsel der amerikanischen Politik sein. Damit Sie mich nicht mißverstehen: Ich bin überhaupt kein Anti-Amerikaner. Ich bin dankbar dafür, daß die USA uns den Marshall-Plan gegeben und uns auf diese Weise sehr geholfen haben. Aber in manchen Bereichen machen sie einfach falsche, schlechte Politik, zum Beispiel im Kosovo, weil sie eben überhaupt nicht das Wissen, nicht die Tradition haben, über die wir verfügen. Uns ist doch klar, daß Serben und Albaner nicht zusammenleben können, daß sie es vorher nicht konnten und daß sie es jetzt, nach alldem, was geschehen ist, überhaupt nicht mehr können. Hier ist die Politik der Amerikaner also total falsch, wir aber machen sie geradezu sklavisch mit. Hier müßte Europa stärker in Erscheinung treten. Wo bleibt das Selbstbestimmungsrecht der Völker?
Sie plädieren also für eine eigenständigere Rolle Europas?
Dichand: Ich habe – wie viele – die Vision von einem vereinten Europa immer gehabt. Jetzt ist es eine große Enttäuschung, daß es so viel Korruption gibt, ja daß sie zu unserem politischen Alltag zu gehören scheint. Das erschüttert mich eigentlich, doch hoffe ich, daß wir diesen Zustand überwinden werden.
Herr Dichand, Sie gelten als einer der wichtigsten Kunstsammler Österreichs, Ihr Lieblingsgebiet sind die Maler der Klassischen Moderne wie Klimt, Schiele, Kubin. Was ist Ihre persönliche Definition von Kunst?
Dichand: In der Kunst erfüllt sich der Mensch stärker als im normalen Alltag. Kunst ist wie Dichtung. Sie verdichtet. Kunst ist immer Zuversicht, auch wenn sie schreckliche Dinge gestaltet. Schon allein, daß der Künstler sich mit solchen Dingen befaßt, zeigt, daß er sie bewältigen will, und insofern ist auch solche Kunst Zuversicht. Ich denke, daß Kunst für den Menschen einfach notwendig ist. Große Künstler sind ja auch Seher. Keine Hellseher, aber ihre größere Sensibilität läßt sie ein Stück über den Zaun blicken, der unseren Blick verstellt. Viele Beispiele könnte ich dafür anführen. Hier nur eines: Ein Hauptwerk Egon Schieles ist „Die tote Stadt“. Gemeint ist Krumau, heute nicht sehr weit von der österreichischen Grenze in Böhmen gelegen, wie ein kleines Venedig, von einer Moldau-Schleife so eingeschlossen, daß es wie eine Insel wirkt. Als Schiele hier vor dem Ersten Weltkrieg malte, war Krumau eine sehr lebendige Kommune und in der Moldau gab es Forellen. Der Künstler malte die Stadt mit ihren wunderbaren alten Häusern, denen er tote Gesichter gab; eine Madonnen-Statue hält den kleinen Jesus im Arm, doch das Kind blickt mit angstgeweiteten Augen in die Zukunft. Die Moldau ist eine schwarze Schlange, die das Städtchen würgt. Schiele sah Krumau so tot, wie sie sonst keiner sah. Sie starb sogar mehrere Tode, den mit der Monarchie, durch den Krieg, der anschließenden Vertreibung und endlich durch den Kommunismus. Auch der Maler wurde zur Unperson, hatte er doch einmal gesagt: „In meinen Adern fließt deutsches Blut!“
Früher wollte Kunst den Menschen erheben zum „Wahren, Guten und Schönen“, heute will sie oft nur mehr die Realität spiegeln. Hat die Kunst eine gesellschaftliche Aufgabe?
Dichand: Ich habe schon gesagt: Sie soll Zuversicht geben. Dabei muß sie sich durchaus auch mit häßlichen Dingen auseinandersetzen. Zum Beispiel Egon Schiele: Er ist heute noch abstoßend für viele Menschen, weil sie einfach mit dieser aggressiven Sexualität nicht fertig werden. Dennoch ist es große Kunst. Und in Schieles Leben sieht man auch, wie sehr er damit gerungen hat, wie sehr er letztlich doch immer wieder ins Schöne, in etwas Befriedigendes gelangt ist. Ich glaube, daß Kunst, wo sie häßlich ist, damit die Häßlichkeit zu überwinden sucht.
Hans Jürgen Syberberg macht der modernen Kunst zum Vorwurf, sie habe die Natur als Maßstab verloren, und zwar sowohl die Natur als äußere der Wälder und Wiesen und somit als Maßstab des Äußeren der Kunst und die Natur als innere, als Natur des Menschen und somit als Maßstab für das Innere und Eigentliche der Kunst. Für Syberberg hat nun die Kunst durch diese doppelte Abkehr von der Natur sowohl die Umweltzerstörung als auch den Seelentod des Menschen in der modernen Gesellschaft gleichsam geistig vorbereitet, ja ermöglicht. Einer Heilung von Natur, Mensch und Gesellschaft müsse demnach auch eine neue Ästhetik vorangehen.
Dichand: Ich kenne Syberberg persönlich. Er ist ein sehr interessanter Mann und ich schätze ihn, aber da stimme ich nicht ganz mit ihm überein. Ich denke, daß Künstler, die die Natur so entfremden, künstlerisch auf oft nur erahnte Gegebenheiten reagieren und versuchen, damit diesen Zustand zu überwinden. Sie bekennen sich damit ja nicht zur Entstellung als etwas Positivem, sondern als etwas, womit man sich befassen muß, um es zu überwinden. Eigentlich trennt mich von Syberberg nur, daß ich mehr Zuversicht habe und er die Entwicklung eher negativ sieht, das Befreiende nicht erkennen kann. Freilich gibt es heute im Kunstbereich viel Scharlatanerie. Und darum geht es eigentlich – daß man Kunst von Scharlatanerie unterscheidet. Dazu braucht man eine Zeit des Lernens, man braucht Stilgefühl.
Gibt es Grenzen für die Freiheit der Kunst?
Dichand: Einerseits dort, wo Dinge wie Religionsverhöhung und ähnliches passieren und andererseits natürlich dort, wo die Scharlatanerie beginnt. Einmal ist eine Dame mit einem Frühstückstablett beim Museum für moderne Kunst in Wien erschienen und hat dem Pförtner gesagt: Ich erkläre das zur Kunst, übernehmen Sie es! Der Pförtner hat – meine ich – richtig gehandelt, indem er dieses „Kunstwerk“ einfach aufgegessen hat. Wir sind schon bei der letzten Frage: Das Liberale Forum hat im vergangenen Herbst unter der Überschrift „Zivilcourage?“ mit einer zerknüllten „Kronen Zeitung“ geworben. In Zeiten der „politischen Korrektheit“ mit ihren Meinungswächtern, Sprachregelungen und Denkverboten haben die Angriffe auf Ihre Zeitung wohl eher zugenommen. Wird die „Krone“ ihre mutige Linie beibehalten, wenn sich Hans Dichand einmal aus dem Tagesgeschäft zurückzieht? DICHAND: Das hoffe ich schon. Wir sind ein Team, von dem man das auch erwarten kann. Beim Lesen der Offenbarung des Johannes bin ich übrigens auf folgenden Satz gestoßen: „Halte was Du hast, daß niemand Deine Krone nehme.“
Wir danken für das Gespräch.