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Derivate und Kinderscheck

Von Gerhoch Reisegger

Die FPÖ hatte im Kärntner und Bundeswahlkampf massiv den Kinderscheck als wichtigsten Programmpunkt herausgestellt. Die Berechtigung der Kinder- und Familienförderung ist unbestritten und eine wichtige Sache. Wenn man solches als notwendigen politischen Schwerpunkt erfüllt sehen möchte, muß eben entschieden – und durchgesetzt – werden, was dafür zurückzustehen hat; etwa die Presseförderung, um ein Beispiel zu nennen. In diesem Fall ist nämlich die Finanzierung der Pferdefuß. Ihr allein gilt diese Kritik.

Sie sollte nicht übers Kärntner Budget erfolgen, sagte Haider. Warum eigentlich, wenn es sich um öffentliche, politisch begründete Maßnahmen handelt? Wozu macht man denn überhaupt ein Budget, wenn so wesentliche Dinge nicht im Budget aufscheinen sollen? Und ist es nicht gesetzliche Notwendigkeit? – Haider tat nämlich so, weil dieser Mangel – die Nichtbudgetierung – den Journalisten aufgefallen war, als wäre das nie geplant gewesen, und zaubert – um die finanzielle Bedeckung zu erklären – ein amerikanisches Vokabel – „asset packaged security“ – aus dem Zylinder, daß selbst G. Ziesel1 ihn fragen mußte, was das denn heiße und bedeute. Haider erklärt, daß „die heute ‚brach liegenden’ Verpflichtungen aus der Wohnbauförderung – anscheinend die künftigen Rückzahlungen eines Schuldners für erhaltene Wohnbaudarlehen2 – als Sicherheit dienen würden (d. h. wohl verpfändet werden sollten), mit denen dann, nach Haiders Erklärung, „international handelbare Wertpapiere“ kreiert werden könnten, die – „konservativ betrachtet – eine Mindestrendite von 5 bis 6% ergeben würden“. Anscheinend hatte man für derartige „deals“ zuerst ausländische Banken im Sinn, aber auf die diesbezüglichen Vorhaltungen wurden dann daraus einheimische. (Was aber an der Methode nichts ändert.)
Das klang nach einer „Finanzierung“ wie die Wertschöpfungsart des Märchenkönigs, der das Aschenputtel aus Stroh Gold spinnen ließ. Im Fachjargon nennt man solche „Finanzprodukte“ Derivate oder derivative Produkte. Wenn es so wäre, handelte es sich eigentlich um Schwindel. Jener Ursache (also dem institutionellen Betrug), die für den Zustand des Weltfinanzsystems verantwortlich ist, dessen Kollaps nicht eine Frage des Ob, sondern nur eine des Wann noch ist3.
Es ist ja auch faszinierend, wenn Haider von einer „Rendite“ von mindestens 5 bis 6% spricht, so als ob das aus dem Nichts ginge. Diese wunderbare Geldvermehrung gibt es aber in Wahrheit nicht, einer hat am Ende das Bummerl. Solche arbeitslosen Erträge sind natürlich auch der Tod jeder wertschöpfenden Realwirtschaft. Wenn es auf diese Weise so billig ginge, daß jeder Provinz-Politiker 6% machen kann ohne was dafür zu leisten, warum sollten sich dann Unternehmer noch die Mühe antun, mit Arbeit und Güterproduktion oder echten Dienstleistungen und unter Einsatz ihres Vermögens(!) weniger oder gerade eben diese 5% – 6% zu verdienen?
Sind das etwa die Methoden, die Haider von Jeffrey Sachs in Harvard gelernt hat? – An anderer Stelle haben wir dargestellt, wie japanische Banken mit Derivaten ihre Bilanzen fälschen(!) – damit ihr, nach den Bilanzierungsregeln offen-barer, Bankrott verschleiert bleibe. Von analoger „Qualität“ können derartige Derivate auch hier nur sein: Verschleierung des Staatsbankrotts.
Noch ein Wort zu den Derivaten. Abgesehen davon, daß sie u. E. kriminelle Machenschaften zur räuberischen Bereicherung einer Finanz-Oligarchie sind, liegen hierin auch absolut zerstörerische Kräfte jeglicher Ordnung und der Gemeinschaft, was doch gerade diese Maßnahme – Familienförderung – beheben soll.
Einer länger zurückliegenden Notiz war einmal zu entnehmen, daß der frühere deutsche Finanzminister Waigel auch Budgetmittel im „Derivatgeschäft investierte“. Risiko und möglicher Gewinn standen hier in keinem Verhältnis.
Erinnert man sich solcher Möglichkeiten nun auch bei uns im Zusammenhang mit dem heiß diskutierten Kinderscheck? Oder ist die Verschleierung von noch anderer Art? Betrachten wir die zweite – so von Haider aber nicht erklärte – Möglichkeit der Finanzierung, um die es aber wohl ging.
Man kann aushaftende Schulden an eine Bank zedieren oder sie auch verkaufen. Im ersten Fall dienen sie als Sicherheit, daß ein operativer Kredit mit einer offenen Forderung, sobald sie beglichen ist, auch damit zurückgezahlt wird; ein übliches Verfahren, um Liquidität von (kleinen) Betrieben sicherzustellen.
Verkauft man aushaftende Schulden/Kreditverträge, so werden die noch zu zahlenden Tilgungsraten eines Kredits zum Barwert berechnet. (Wenn also – um ein einfaches Beispiel zu geben – der Zinssatz 10% sei und jeweils noch eine jährliche Rückzahlung von 1.000,— öS über drei Jahre zu leisten wäre, dann sind das 1.000 + 1.000 + 1.000 = 3.000,— öS, wobei die erste Zahlung jetzt, die zweite in einem Jahr und die dritte in zwei Jahren fällig ist. D. h., daß unter Berücksichtigung der Verzinsung die zweite Rate heute um 10% weniger wert, der Barwert also 900,— ist, und die dritte Rate ist von diesem reduzierten Wert nochmals um 10% weniger: hat also einen Barwert von 810,— öS. Damit beträgt der Barwert der ganzen noch offenen Forderungen 2.710,— öS und entspricht zum heutigen Stichtag der nominalen Summe von 3.000,— bei Ratenzahlung.)
Um den Barwert eines aushaftenden Kredits zu berechnen, gibt es für alle Zinssätze, Laufzeiten und Zahlungsmodalitäten entsprechende Tabellen/Formeln –, und wenn man solche Forderungen an Banken verkauft, auch einen Verhandlungsspielraum – über Zinsentwicklung, Provision, die man für sofortige Kapitalisierung durch die Bank zu zahlen hat, etc. Es ist das Vorziehen der Gelder in die Gegenwart also mit ein paar Risken und Kosten verbunden. Wenn also die Banken 50, 60% der nominalen Schuld als Barwert für den Kauf solcher Forderungen aufwenden und sich eine ordentliche Provision zahlen lassen, so verdienen sie sicher einmal.
Mit dieser Art von Geldbeschaffung wird im Grunde eine künftige – regelmäßige – Einnahme sofort zu Bargeld gemacht. Das könnte man auch wieder anlegen oder für irgendwelche Zwecke ausgeben. Aber es wird natürlich nicht mehr oder damit „neues“ Geld geschaffen. Auf jeden Fall kann man es nur einmal verbrauchen. Und das wurde es bereits, als es für einen Wohnbau vorgestreckt wurde. Wenn man sich nun das in Raten künftig hereinkommende Geld mit dieser Barwertmethode vorzeitig und auf einmal verfügbar macht, heißt das, daß man über künftige Einkünfte jetzt disponiert. Sie gehören ja, wenn die Forderungen verkauft sind, dann der Bank. Der öffentlichen Hand fließen also in Zukunft keine Rückzahlungsraten mehr zu, sie fehlen daher in künftigen Budgets!
Die „Jahrhundert-Idee“, wie sie ein Freund nannte, um außerhalb des Budgets den Kinderscheck (oder wie immer man die Familienförderung einmal nennen wird) zu finanzieren, ist damit ein gefährlicher Trick, weil er als gegenwärtiges „Finanzierungswunder“ zwar laut hinausposaunt wird, aber das damit verbundene spätere Fehlen der laufenden Rückflüsse – verschweigt!
Damit wird die Finanzierung im Grunde auf gleiche Weise gemacht, als hätte man „außerhalb des Budgets“ und auf Pump die ganze Sache gedeichselt. Man lebt auf Kosten der kommenden Generationen, wie heute schon über die nicht mehr rückzahlbare Verschuldung auch! Das ist/wäre eine ganz unverantwortliche und unseriöse Finanzgebarung der öffentlichen Hand, von ähnlicher „Güte“, wie der schon erwähnte Versuch des ehemaligen deutschen Finanzministers Waigel, sich durch „Investition“ in „derivative Produkte“ ein extra Körberlgeld zu verdienen4.
Wenn man mit eigentlich für revolvierende Wohnbaufinanzierung wieder zu verwendenden Mitteln5 – mit dem Umweg über Banken – eine außerhalb des Budgets liegende Finanzierung des „Kinderschecks“ plant, dann könnte man aber doch die Frage stellen, weshalb man die Rückzahlungsraten nicht gleich direkt umwidmet, und sich den „Vermittler“ – und damit die Kosten – spart. Denn das ganze Geld würde man ja gar nicht auf einmal benötigen. Ist das alles nur erdacht, um mittels komplexer Verfahren sonst durchsichtige Manöver zu verstecken?

Anmerkungen

1 Moderator der Pressestunde vom 21. November 1999, ORF 11.00 bis 12.00 Uhr.
2 Klar war es auch nach der „Erklärung“ Haiders nicht, was da wie genau funktionieren soll. Außer, daß es ein alchimistischer Prozeß – wie ihn Binswanger in „Geld und Magie“ beschrieben hat – wohl sein müsse. – Man kann nur ein großes „Achtung“-Schild hier aufstellen!
3 Über das Wann können wir heute bereits genauere Prognosen stellen: am 4./5. April 2000 begann, was sich dann am 17.  mit einem noch nicht

 
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