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Flat Tax

Von Gerhoch Reisegger

Als ihr Erfinder gilt hierzulande der amerikanische Prof. A. Rabushka, jedenfalls ließ sich J. Haider von Rabushka ein Österreich-Modell ausarbeiten, das angeblich zum unverzichtbaren Teil des FPÖ-Programms erklärt wurde – und angesichts der offensichtlichen Budgetmisere natürlich nicht stattfindet!

Die „Grundidee“ klingt einleuchtend: eine Steuer, sehr niedriger Steuersatz und „Incentives“ für Investitionen, weil das Wirtschaftswachstum bringe. Investitionsförderungen sind nun nichts Neues, hier aber noch umfangreicher als bisher.
Rabushka hat sein Konzept schon folgenden Ländern angedient: Kanada, Israel, Chile, Argentinien, Brasilien, Guatemala, Mexiko, El Salvador, USA, Australien – und nun Österreich. Es fällt auf, daß dies vor allem Länder Latein-Amerikas sind, von denen uns die schlimmsten Exzesse des neoliberalen Kapitalismus nur bekannt sind. Gute Gesellschaft also, der auch US-Ratschläge zuteil werden?
Die Gleichung ist im wesentlichen: niedrige Steuer = höhere Investitionen  =  Wirtschaftswachstum  =  mehr Arbeitsplätze. Leider hat sie einen Schönheitsfehler: sie stimmt auch in der neoliberalen, kapitalistischen, globalisierten Welt nicht. Alle Erfahrungen zeigen, daß in Wahrheit das Gegenteil der Fall ist.
Die Investitionen finden auch nicht in der Realwirtschaft statt, sondern in Finanzanlagen der Casino-Wirtschaft. Von den grenzüberschreitenden Finanztransaktionen machen jene für „derivative Produkte“ ca. 99% des gesamten Kapitalverkehrs der Bank für internationalen Zahlungsverkehr (BIZ) in Basel aus; sie sind von der Realwirtschaft de facto völlig abgekoppelt.
Der Zusammenhang von geringerer Steuer mit Wirtschaftswachstum ist ein unbewiesenes und nicht quantifizierbares Dogma. Man muß es glauben!, aber man weiß nicht! Das Wachstums-Paradigma ist in dieser Gleichung zentraler und archimedischer Punkt. Damit ist auch fixiert, wie die künftige Wirtschaft beschaffen sein soll. Wir sollten uns das einmal vor Augen führen:
7% Prozent Wachstum bedeuten Verdopplung in 10 Jahren, 5% eine in 14 Jahren1 und ein Wachstum von 3% in knapp 24 Jahren.
Die als „gesundes“ Wachstum angesehenen – mindestens – drei Prozent bedeuten eine Verdopplung der Wirtschaftsleistung nach 24, eine Vervierfachung nach weiteren 24 und eine 16-fache Ausweitung nach abermals 24 Jahren! Innerhalb eines Menschenlebens wird die – tödliche – Hypertrophie, wenn nicht schon längst vorher, schlagend. Der Kern der Wachstums-Ideologie ist von krebsartiger Natur. Dabei hören wir von Ökonomen und Experten bereits seit Jahren, daß „ein Wachstum unter 3% keine Jobs schafft“! – Unter welchen Bedingungen ginge Rabushkas Gleichung dann auf?2
Unter dem Zwang aufkommensneutral die Steuer zu „reformieren“, müßten, wenn die Sätze oben gesenkt werden sollen, jene unten angehoben werden. – Nach 5 Jahren würde sich das – auch für die unten – „gelohnt“ haben! Rabushka verspricht dies jedenfalls, und fordert, erst einmal das System zu reformieren, der Nutzen käme dann schon. Kreideworte. Es ist ja merkwürdig, daß die „benefits“ für die Mehrheit immer in der unsicheren Zukunft liegen, jene für die schon Begünstigten aber sofort eintreten. – Das ist offenbar der wahre Zweck derartiger Reformen.
Die Kritik, daß vorhersehbare Steuerausfälle mit Kürzungen der Staatsausgaben (im Sozialbereich klarerweise) einhergehen würden, konnte Rabushka, wie erwähnt, nur mit mehr Steuern unten kompensieren. – Daraus folgt freilich auch die Notwendigkeit, aus der ganzen Geschichte eine Religion zu machen: nämlich das Paradies für später zu versprechen (das Mehr an Geld etc. für Jedermann), wenn man nur jetzt einmal seiner Lehre glaubte!
Rabushka sagt: Wenn die gesamte Wirtschaft stärker wächst, nützt dies jedermann. Die Arbeitslosen haben einen Job, die schon einen Job haben, werden bessere Chancen, mehr Gehalt, mehr Karrieremöglichkeiten haben, und die Menschen an der Spitze der Pyramide können mehr investieren, das Geschäft ausweiten und somit mehr Menschen beschäftigen.3
Der „Erfolg“ dieser Überredung hängt auch davon ab, ob nun die „Reichen“ tatsächlich mehr investieren. Die Fakten der letzten 20 Jahre stützen das aber nicht: Investments in die Real-wirtschaft – mit dem Unternehmerrisiko, sein Kapital in den Sand zu setzen – finden immer weniger statt, vor allem weil die Renditen hier geringer sind als bei „Investitionen“ in Finanzanlagen4. Hier wird aber weder etwas geschaffen, noch im klassischen Sinn überhaupt investiert, sondern eben spekuliert. Dafür sind keine Arbeitsplätze nötig, im Gegenteil, ihr Abbau ist in der Regel Auslöser für steigende Börsenbewertungen und vice versa Kurs stürze die Folge von zu hohen „labour-costs“.
Die nächste Lehre Rabushkas ist, neben dem Wirtschaftswachstum, die von einem „Weniger an Staat“ (reduce government). Auch das klingt immer so „überzeugend“. Aber die europäisch-kontinentale Kultur ist eine andere als in den USA. Der soziale Zusammenhalt, die Gemeinschaft, sind europäische Haltungen, und sie bedingen eine Vielzahl von Gemeinschaftsleistungen. Diese sind Mitursache dafür, was in Europa geschaffen wurde. Das „weniger Staat“ als Schlachtruf impliziert ja, daß heute Unnützes oder mit schlechter „performance“ getan würde. Diese Unterstellung ist in ihrer Allgemeinheit schon falsch – und es zeigte sich inzwischen auch – seit Reagan und Thatcher –, daß privatisierte Leistungen schlechter und teurer wurden oder diese überhaupt verschwanden (z.B. Sicherheit und Pünktlichkeit der britischen Eisenbahn).
Dieser Schlachtruf erweist sich auch zunehmend als Trojanisches Pferd, als nämlich damit bestehende Strukturen – die Othmar Spann als Kapital höherer Ordnung bezeichnete – zerstört werden. Wir werden also in Wahrheit nicht „reicher“ oder „freier“ oder „selbständiger“ oder „verantwortungsbewußter“ und was die ewigen Wahrworte noch verheißen, sondern auch hier ist das Gegenteil der Fall. Man sieht an Rußland ganz deutlich, was selbst die Vernichtung einer ineffizienten Ordnung – der kommunistischen Planwirtschaft – für desaströse Folgen für die Menschen hatte: Anarchie, Kleptokratie, Auflösung und mit ihnen im Gefolge die bitterste Armut von weitesten Teilen des ganzen Volkes bis hin zum Ethnozid aus blanker Not!
Rabushka ist ein Mann, der alles über das Geld regeln zu können glaubt: wenn man der Regierung Geld entzöge, müßten die Beamten effizienter werden, etc. Das scheint überhaupt ein Grundirrtum der materialistischen Betrachtungsweise zu sein. „Wenn die Menschen keine Sozialsysteme hätten – oder diese wesentlich reduziert wären“ … Über diese Prämisse kommt er zu einer „Laffer-Kurve“, mit der ein US-Professor dieses Namens irgendetwas bewiesen haben will. Kurz gesagt: Besteuerung bringt weniger ein, „Incentives“ bringen mehr ein.
Die Beweise dieses Dogmas sind jedoch durch die Bank fragwürdig, z.B. die „Reform“ des US-Welfare-Systems. Rabushka „beweist“, daß nun weniger Menschen als früher gesetzliche Leistungen aus dem Sozialsystem bekommen, weil man die Anspruchsberechtigung absolut beschnitten hat (nach maximal fünf Jahren fällt man aus dem „Sozial“-system ganz heraus). – Damit ist die geringere Inanspruchnahme natürlich so offenkundig wie der Satz: „Es regnet, weil es regnet.“
In Neuseeland sank der Krankenstand und die Arbeitslosigkeit, nachdem durch einen US-Berater, Allan Schick, das Sozialsystem  in Neuseeland  „refor
miert“  wurde: man sparte sich den Aufwand für das Führen einer Statistik überhaupt. – ein schlagender Beweis.
Betrachtet man den beispiellosen Erfolg des wirtschaftlichen Wiederaufbaus Deutschlands nach der Großen Depression der 30er-Jahre zwischen den beiden Weltkriegen, so war dies – neben der sprichwörtlichen Tüchtigkeit und des Fleißes der Deutschen – vor allem der organisatorischen Leistung und Lenkung der Wirtschaft zu danken.
Deutschland war zu dieser Zeit in einer bedrängten Lage und mußte allein und aus eigener Kraft den Wiederaufbau bewerkstelligen. Die Mittel waren sehr beschränkt, die Grenzen de facto blockiert, sodaß ohnedies nur blieb, den Außenhandel strikt vom Staat zu steuern, Devisen – Dollar, Franken, Yen, … – von diesem ausschließlich zu verwalten und für den Kauf der notwendigsten Ausrüstungsgüter zu verwenden. Ähnliche Gedanken hatte Fichte in seinem „Geschloßnen Handelsstaat“ niedergelegt, oder F. List über die „Erziehungszölle“, um die Binnenwirtschaft vor der übermächtigen Konkurrenz so lange zu schützen, bis sie ihr standhalten könne. Ein Beispiel noch aus den USA, dem Mutterland des Kapitalismus: die Tennessee Valley Authority ist ein Lehrbuchbeispiel und bundesstaatenübergreifendes Entwicklungs-Projekt mit strikt hierarchischer Organisation, geplanter Kooperation – und weitgehender Ausschaltung von „Marktmechanismen“; der wichtigste Zweck war die Überwindung der Großen Depression in den USA! Das „Weniger Staat!“ entpuppt sich als Propaganda-Parole, mit der eine bestimmte Form der Wirtschaft begünstigt werden soll: der Raubtierkapitalismus.

1 In den USA angeblich z. Zt. 5,4%! 2 Die Flat Tax in den USA zeigt übrigens, daß es offenbar um was anderes ging als die behauptete Ankurbelung der Wirtschaft. Dort boomen allein die spekulativen Aktienkurse, stärker dort, wo großes Risiko ist, und am exorbitantesten bei „Internet-Aktien“. Real ist hier nichts. Die Kurs/Gewinn-Relation ist jenseits jeder Rationalität: bei DOW-Jones-Aktien 1 : 24,
bei S&P-Aktien 1 : 33 und bei NASDAQ-Aktien
1 : 94! Letztere sind „Technologie“-Papiere, von denen angeblich die „Zukunfts-Innovationen“ kommen sollen. Internet-Aktien entziehen sich solcher Betrachtung überhaupt, denn manche „Lead“-Firmen haben noch nie einen Gewinn gemacht; ihre Aktien aber sind innerhalb von Tagen oft um das Hundert- und Mehrfache gestiegen! – Mit der Realwirtschaft hat das selbstverständlich nichts zu tun. Sogar Alan Greenspan warnt – und ist „besorgt“. Daneben ist das US-Jobwunder eine Propaganda- Lüge dreistester Art. Die neuen Jobs fanden nur in der gefälschten Statistik statt, in der man monatlich per Programm – unter Reagan 50.000 und seit Clinton (also seit 1993) 80.000 neune Jobs! dazurechnete – ohne daß es diese überhaupt je gab. In Wahrheit sind von den (seit Jahren konstant!) 136,4 Mio. Beschäftigten in Amerika heute nur knapp über 80 Mio. Vollzeitbeschäftigte, die 35 oder mehr Wochenstunden arbeiten. Die übrigen 56,4 Mio. sind Teilzeitode Saisonarbeiter (z. B. Erntearbeiter). Von diesen 56,4 Mio. haben nur 14,6 Mio. mehr als 20 Stunden in der Woche gearbeitet. Die US-Verschuldung hat Höhen erreicht, die alles Gewesene in den Schatten stellt. Per 1998 betrug das BIP –10,7 Bio. $, die Gesamtverschuldung –25,16 Bio. $, die offenen Derivatkontrakte (= Casino-Wetten) –53 Bio. $, Der Wert der Aktien ca. 15 Bio. $, d.h. ca. 140% des BIP. Zum Vergleich: 1929 beim Großen Crash betrug die Aktienkapitalisierung ca. 80% des BIP.3 Wall Street Journal Europe vom 19. März
1993, über die Folgen des Re-Engineering der Unternehmensprozesse: „Niemand hat eine Lösung für die zu erwartenden politischen und sozialen Probleme des Re-Engineering, aber einige Schätzungen beziffern den Verlust an Arbeitsplätzen in den USA mit 25 Millionen, nämlich ca. 2 Millionen pro Jahr während der nächsten 15 bis 20 Jahre.“ Im selben Artikel wird John C. Skerritt, geschäftsführender Partner von Anderson Consulting zitiert: „Wir sehen viel Wege auf denen Jobs vernichtet werden, aber wir können nicht erkennen wo sie wieder entstehen werden.“
4 OÖN, 29. November 1999, S. 10: Die Bank Austria will bis 2001 den „Return on Equity“ auf 12% anheben. „Erreicht sie diese Marke, läge die BA noch immer weit unter dem Ertragsniveau ausländischer Institute. Dieses liegt bei 18% (Schnitt der europäischen börsennotierten Banken) bzw. bei mehr als 20% (britische Banken).
– Hier findet die wunderbare Geldvermehrung – Schöpfung aus dem Nichts – statt, denn in der produzierenden Wirtschaft ist das
kaum möglich.

 
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