Auf Flohmärkten und in manchen Buchläden finden heute noch Traumdeutungsbücher mit Titeln wie „Die Traumdeutungskunst der Zigeuner“, „Ägyptische Traumweissagungen“, „Talmudische Traumweisheiten“ ihre Käufer. Vor 100 Jahren wurde eine besondere Variante des Traumbüchels zum ersten Mal verlegt, dessen Verfasser aus einem ähnlichen geographischen Umfeld, nämlich aus Galizien, stammt. Jahrzehntelang umstritten, hat es heute einen sakrosanten Status erlangt und darf nur mehr huldigend zitiert werden – ja jeder, der es zu kritisieren wagt, wird als Antisemit verschrien. Schließlich mußte Sigmund Freud, der Verfasser der „Traumdeutung“, 1938 nach England emigrieren und wurde sein Werk den Flammen übergeben, bei den berühmt-berüchtigten Bücherverbrennungen der „Schmutz- und Schundliteratur“.
Vergessen gemacht werden soll, daß es nicht zufällig jüdische Denker waren, die Freud zuerst durchschauten und vehement kritisierten. Karl Kraus, der Herausgeber der Fackel, hielt die Psychoanalyse, wie die Freudsche Heilslehre offiziell heißt, für jene Krankheit, deren Heilung zu sein sie vorgibt. Nämlich die neurotische Fixierung auf die Sphäre des Sexuellen, die durch die Psychoanalyse nicht geheilt, sondern der Freud die letzten Schleusen geöffnet hat.
Otto Weininger, der geniale Wiener Jüngling jüdischer Abstammung, dem wie Freud das Geschlechtliche als zentrales Weltproblem galt, führte die Geschlechterlehre mit Hilfe Kants und Schopenhauers in metaphysische Höhen, anstatt daraus ein einträgliches Geschäft zu machen. Sein sittlicher Ernst führte ihn dazu, sich 1903 – übrigens in Sichtweite des Freudschen Domizils – zu erschießen, weil er den eigenen strengen Anforderungen nicht gerecht werden konnte.
Der eigentliche Antipode auf tiefenpsychologischem Gebiet unterliegt zwar heute auf Grund seiner Freud-Gegnerschaft dem Nazismus-Verdacht: C. G. Jung, der die Trauminhalte nicht auf infantile Sexualwünsche reduzierte, sondern als Abbilder ewiger Archetypen mit transzendentaler Bedeutung interpretierte. Aber auch viele jüdische Schüler und Anhänger Freuds, wie Alfred Adler, Otto Rank und Wilhelm Reich, wandten sich von diesem und seinen undurchführbaren Therapien ab. Adler suchte die Lösung auf die ewige Frage der Sphinx „Was ist der Mensch?“ im Machtstreben, Rank im Willen und Reich – auf Freudscher Linie, aber folgerichtiger – in der anarcho-kommunistischen Revolution.
Nachdem Freud ins Londoner Exil gehen mußte und sich seine Lehre nur in Amerika epidemisch verbreiten konnte, wurde sie in Folge der Niederwerfung Deutschlands als Umerziehungswaffe rückimportiert – von späteren Wegbereitern der Kulturrevolution wie Herbert Marcuse.
Dabei hat die Psychoanalyse heute jede Glaubwürdigkeit verloren, ist längst experimentell widerlegt, ihr Anspruch auf Wissenschaftlichkeit in Frage gestellt. Adolf Grünbaum hat mit seinen Werken über die Psychoanalyse in wissenschaftstheoretischer Sicht das in der Detailanalyse eingelöst, was beispielsweise Sir Karl Popper längst global behauptet hat: Freuds Pseudowissenschaft hält keinen Kriterien der Wissenschaftlichkeit stand. (Adolf Grünbaum, Die Grundlagen der Psychoanalyse) Jeffrey Masson, ein freudianischer Wissenschaftler, der zu einem Leiter des Freud-Archivs aufgestiegen war, deckte schließlich ein dunkles, verdrängtes Geheimnis der Psychoanalyse auf: Freuds berühmte ödipale Verführungstheorie – die Tochter will angeblich mit ihrem Vater schlafen – klingt nicht nur pervers, sondern basiert auf Fällen von tatsächlichem Kindesmißbrauch, die von Freud der Wunschwelt des Kindes zugeschrieben wurden – letztlich eine Verharmlosung von Inzest. Die Fallbeispiele lagen im Freud-Archiv und zeigten, daß Freud die tatsächlichen Hintergründe kennen mußte! Diese Entdeckung machte Masson mit den Mechanismen der Freud-Scholastik vertraut, die ihn nicht nur aus der psychoanalytischen Glaubensgemeinschaft exkommunizierte, sondern regelrecht zu vernichten trachtete. (Jeffrey Masson, Was hat man dir, du armes Kind getan?)
Die Leichen im Keller der Psychoanalyse sind zu zahlreich, als daß die intellektuelle Redlichkeit sie länger ignorieren könnte, so hat der etablierte Journalist Dieter E. Zimmer in seinem Buch „Tiefenschwindel“ die unantastbare Lehre mit Wertungen wie „schief“, „ahnungslos“, „dümmlich“, „fanatisch“ und „menschenverachtend“ bedacht und in einem Essay mit dem treffenden Titel „Wahrsagerei für Intellektuelle“ (Die Zeit, 12. Dezember 1986) Fallbeispiele der Freudschen Traumdeuterkunst wie den berühmten „Wolfsmann“ der Lächerlichkeit preisgegeben.
Nun könnte man sagen: Was soll´s? Ein Wissenschaftsbluff, der wie viele andere Lügen und Halbwahrheiten Eingang in unsere Lehrbücher gefunden hat. Eine Geldvernichtungsmaschine für reiche Patienten auf der Suche nach einer Krankheit. Oder auch, positiver gedacht, ein Fremdenverkehrsmagnet für die Berggasse in Wien und eine Beschäftigungstherapie für Akademiker, die ansonsten vielleicht in gefährlicheren Gebieten herumdoktern würden. Aber leider ist der Freudianismus nicht nur dies. Die Psychoanalyse wirkt in kulturell verheerender Weise und muß allen, die sich der europäischen Geisteswelt verpflichtet sehen, ein Gegenstand der Auseinandersetzung sein.
Da ist zunächst der Anspruch, sich mit dem Unbewußten zu beschäftigen. Die Psychoanalyse hat das Unbewußte nicht entdeckt, selbstverständlich war es Philosophen, Künstlern und auch religiösen Denkern längst bekannt. Ihnen allen war aber gemeinsam, daß sie beim Überbewußten, der Verbindung des Menschlichen mit dem Geistigen, dem Übernatürlichen und Göttlichen, ansetzten und von daher das Nicht-Bewußte, den blinden Fleck der Seele, zu begreifen suchten. Freud hat dieses Überbewußtsein zum Unterbewußtsein erniedrigt, zum Ausfluß des Unterleibs und der Unterwelt, der Triebwelt und der Zwänge.
René Guénon nennt dies offen einen „satanischen Zug“ der Psychoanalyse und hält den „im allgemeinen niederträchtigen und abstoßenden Charakter der psychoanalytischen Deutungen“ für „ein ‚Mal’, das keine Täuschung zuläßt.“ Anstatt einen Weg in die Freiheit, in die Transzendenz, zu bahnen, sei die Psychoanalyse „der Versuch einer Ausweitung, die sich einzig und allein nach unten erstreckt, d.h. nach der Seite, die im menschlichen Wesen wie auch im kosmischen Milieu den ‚Rissen’ entspricht, durch die die ‚unheilvollsten’ Einflüsse der subtilen Welt dringen, wir können sogar sagen, diejenigen, die einen im wahrsten und wörtlichen Sinne ‚höllischen’ Charakter haben.“ (René Guénon, Die Verheerungen der Psychoanalyse, Der Pfahl II.) Von dieser „unterirdischen“ Basis aus findet eine Subversion statt, die einer diabolischen Umwertung aller Werte entspricht. Die gesamte Kulturleistung der Menschheit, die für Freud nur eine Sublimierung – eine Verfeinerung – des Tiers im Menschen ist, wird wie eine Maske abgestreift.
Denn wozu soll der ganze zivilisatorische Aufwand gut sein, wenn alles nur Tünche und Kulisse ist? Lassen wir doch die Sau raus! Die Love-Parade, die Pornowelle, der exhibitionistische Talk-Show-Wahnsinn, sie wurden durch Freud gewollt oder ungewollt vorbereitet. Diese praktischen Demonstrationen der Enthumanisierung konnten zwangsläufig keine Befreiung bringen, sondern eine Versklavung des Ichs und eine Kommerzialisierung der Triebe. So wie der Patient, nachdem man ihm erst einmal einreden konnte, er sei neurotisch, auf alle Zeit vom Analytiker abhängig ist und sein Geld zu ihm tragen muß (Guénon meint, der Psychoanalyse-Patient werde sein Kainsmal niemals mehr los); genauso wirken sich Hedonismus und Mammonismus auf die Gesellschaft aus: Sucht ohne Aussicht auf Befreiung – und manche reiben sich die Hände und kassieren ab.
Aber wer vor dieser entfesselten Unterwelt in die Hochkultur fliehen möchte, wird Freud und den Folgen nicht entkommen. Keine Opernvorstellung, keine Theaterinszenierung ohne Ödipuskomplex. Cineasten, Galeriebesucher und Literaturliebhaber stoßen auf die Gedankenwelt Freuds auf Schritt und Tritt. Kein anderer hat den Kulturbetrieb derart mit Zoten und überspannten Hypothesen auf Touren gebracht. Man braucht nichts von Musik zu verstehen, um Wagner auf die Couch des Psychoanalytikers zu legen. Kein philosophischer Tiefgang ist von Nöten, um Nietzsches Kindheit für sein imposantes Gedankengebäude verantwortlich zu machen. Die Halbgebildeten haben mit Hilfe Freuds den Dreh gefunden, um sich über die großen Schaffenden zu erheben und sich an ihnen parasitär zu bereichern. Keine begriffliche Arbeit, keine saubere Gedankenführung, kein mühsames Erlernen von Grundbegriffen ist mehr erforderlich, um Karriere zu machen, nein, es genügt, ins Blaue zu phantasieren unter Verwendung von Reizwörtern wie „Libido“, „Projektion“ und „Kastrationsangst“. Ganze Universitäten sind von dieser ungeistigen Entlarvungsdisziplin befallen, saisonsbedingt einmal mit Marx angereichert und heute besonders gerne mit feministischen Sophismen.
Im politischen Bereich ist die Methode nicht allzu verbreitet, doch auch hier lassen sich bereits Beispiele anführen. So konnte Clintons permanent offene Hosentür durch seine harte Kindheit erklärt werden; und nicht zufällig wurde Waldheim, als er nicht einsah, was an einer früheren Tätigkeit als Leutnant in der Wehrmacht mit dem Amt des Präsidenten der Republik Österreich unvereinbar wäre, zum Exemplar einer angeblich spezifisch „österreichischen Seele“ umgelogen, die in dem Seelendoktor aus Galizien ihren Analysten fand.
Nun ist es also 100 Jahre her, daß im Wien Schnitzlers, Klimts und Sacher-Masochs die „Traumdeutung“ das Licht der Druckerpresse erblickte. „Die Freudsche Psychoanalyse erwächst vollkommen aus dem Raum des in vollendeter Selbstvernichtung und Selbstauflösung befindlichen k.u.k. Österreich. Ihr Grundgesetz ist das der Abweichung. Sie setzt fest, daß der Mensch ins Sexuelle abweiche, das seinerseits somit als autonome Macht sich in den Sattel setzen, als pars pro toto triumphieren möchte und das auch dort, in Wien, das diese Lehre heraussetzte, wirklich triumphierte.“ (Christoph Steding, Das Reich und die Krankheit der europäischen Kultur.) Es ist Zeit, daß wir uns von den Sumpfblasen der Fin de Siécle-Dekadenz emanzipieren und die intellektuellen Zerfallsprodukte der Donaumonarchie hinter uns lassen – oder müssen wir Freud wirklich ins nächste Jahrtausend mitschleppen?