Am 28. April 1943 wurde die Aufstellung der 14. Galizischen Freiwilligen-SS-Infanteriedivision im damaligen Ostpolen von Generalgouverneur Dr. Frank feierlich bekanntgegeben. Ihr schrieben sich griechisch-katholische Ukrainer aus dem ehemaligen österreichischen Kronland Galizien ein. Von 80.000 Freiwilligen, die sich gemeldet hatten, wurden aber nur 40.000 endgültig genommen.
Am 18. Juli 1944 wurde die ukrainische Division im Rahmen des 13. Armee-Korps im Raum Brody in einem Kessel eingeschlossen. Der Durchbruch gelang am 24. Juli 1944, doch war die Division in diesen Tagen von 14.000 Mann auf nur mehr 3.000 reduziert worden. In der Folge verschlechterte sich die Stimmung in der Division. Nicht mehr alle waren Idealisten mit hoher Motivation, auch wurden Polizeieinheiten der kämpfenden Truppe eingegliedert. Zudem war es dem Divisionskommandeur Brigadeführer Fritz Freitag anzumerken, daß er eine innerliche Aversion besaß, diese fremdvölkische Division zu führen.
Gegen Ende des Krieges standen die Ukrainer in der Steiermark und in Slowenien. Vor allem im Raum Gleichenberg kam es zu heftigen Gefechten. Noch am 15. April 1945 konnten sie die bereits von Rotarmisten besetzte Höhe im Gegenstoß mit blanker Waffe wieder nehmen. In Feldbach erinnert heute ein Gedenkstein an ihren Einsatz. Ende April wurde der Verband umbenannt in Erste Division der Ukrainischen Nationalarmee und General Schandruk unterstellt. Als solche ging sie bei Klagenfurt in englische Gefangenschaft.
Das folgende Interview mit einem ehemaligen Angehörigen dieses Verbandes, Univ.-Doz. Dr. Myron Pryjma, soll Aufschluß über Motivation und Geist dieser Freiwilligen geben.
Das Gespräch führte Wolfgang Dvorak-Stocker.
Herr Universitätsdozent Pryjma, aus welchen Gründen sind Sie der Waffen-SS beigetreten?
Pryjma: Da muß ich weit ausholen. Ich bin Jahrgang 1929, mein Vater war griechisch-katholischer Priester. Zudem war er Redakteur einer katholischen Zeitung und hat eine Broschüre über die von den Kommunisten absichtlich herbeigeführte Hungersnot in der Ukraine (den heute sog. Hunger-Holocaust, Anm. d. Red.) verfaßt, allerdings nicht unter seinem vollen Namen, was ihm das Leben retten sollte.
1940 wurde er als Staatsfeind verhaftet. Als die Deutsche Wehrmacht die Sowjetunion angriff, ermordeten die Bolschewiken alle Regimegegner in den Gefängnissen und wir hörten, daß auch mein Vater unter den Erschossenen sei. Ich kann mich noch erinnern, wie ich, damals 12 Jahre alt, mit meiner Großmutter von Gefängnis zu Gefängnis wanderte und wir dort zwischen den teilweise stark verwesten Leichen nach meinem Vater suchten – noch heute träume ich davon. In Wirklichkeit war mein Vater aber zufällig bereits einen Monat vorher nach Sibirien deportiert worden, 1950 wurde er schließlich freigelassen.
Die nächsten Jahre ging ich auf jeden Fall ganz normal auf ein ukrainisches Gymnasium in Lemberg. Als dann aber 1944 die Rote Armee wieder heranrückte, schien für uns klar, daß ich in jedem Fall in eine Armee würde gehen müssen. Wir wußten ja nicht, wieviele Jahre der Krieg noch dauern würde. Zur Roten Armee wollte ich aber auf keinen Fall, ich hoffte, gemeinsam mit den Deutschen die Kommunisten wieder aus meiner Heimat vertreiben zu können. In der Waffen-SS-Division Galizien wollte man mich aber nicht nehmen, weil ich ja erst 15 Jahre alt war. Aber ich war schon 1,78 m groß und wog 80 kg. Der verantwortliche Offizier bei der Einschreibung sah mich also an und fragte: „Willst du wirklich Soldat werden?“ Und als ich antwortete: „Ja, wirklich, wirklich“, änderte er mein Geburtsjahr mit einem Federstrich von 1929 auf 1927.
Welche Erfahrungen haben Sie mit den deutschen Offizieren gemacht?
Pryjma: Sehr unterschiedliche. Manche waren streng und hochmütig, sie haben uns Ukrainer nie richtig verstanden. Unser Kompanieführer bei der Ausbildung im Lager Neuhammer war Obersturmführer Schneller. Ein sehr zackiger Mensch, hoch, schön, der nur die Sterne sah. Er legte Wert auf eiserne Disziplin. Aber als wir an die Front gelangten und in der Nähe von Brody das erste Mal unter Feuer kamen, war er plötzlich weg. Einfach verschwunden. Ich kann es mir nicht erklären, aber wir haben nie wieder etwas von ihm gesehen. Sein Stellvertreter, Untersturmführer Dornbusch, übernahm sofort, noch im Gefecht, die Kompanie. Das war ein sehr menschlicher Mann, der sich um uns kümmerte und einem von uns sogar das Leben rettete.
Einer der Freiwilligen hatte in einer Stadt, wo wir kurz lagen, zufällig seine Mutter und seine Schwester getroffen, die auf der Flucht nach Westen waren. Er wollte ihnen weiterhelfen, zog die Uniform aus und versuchte, mit ihnen einen Lastkraftwagen zu besteigen. Das war natürlich Fahnenflucht, und als er geschnappt wurde, sollte er erschossen werden. Untersturmführer Dornbusch meldete aber nur, daß er das Urteil vollstreckt habe, und gliederte ihn in Wirklichkeit wieder in seine Kompanie ein. Später ist er in Amerika Arzt geworden. Auch seiner Mutter und Schwester gelang es mit Dornbuschs Hilfe noch, beim letzten Transport nach Westen mitgenommen zu werden. Ich selbst habe übrigens nach dem Zusammenbruch des Kommunismus versucht, herauszufinden, ob Dornbusch noch lebt. Tatsächlich ist es gelungen, seine Adresse zu eruieren und jetzt war ich auf seine Einladung hin schon mehrmals zu Besuch in Österreich.
Sie sind aber bald nach den geschilderten Ereignissen in Gefangenschaft geraten?
Pryjma: Ja, wir lagen in Polen, genau auf einem Hügel. Auf dem Hügel gegenüber war die Rote Armee, und wir waren so stark unter Feuer, daß wir uns nicht rühren konnten. Dazwischen aber lagen Verwundete, die schrecklich schrien. Ohne Befehl bin ich losgekrochen, um einen von ihnen, einen Deutschen, zu bergen. Ich war jung und glaubte in gewisser Weise, unverwundbar zu sein. Als ich beim Verwundeten war, wurde ich plötzlich beschossen. Ich feuerte zurück, und plötzlich, durch einen Schlag, oder ich weiß nicht wodurch, verlor ich das Bewußtsein. Als ich wieder erwachte, war ich allein. Es war Nacht, und ich sah keinen Menschen mehr. Ich machte mich auf auf den Weg nach Westen und traf in einem Wäldchen noch einen Ukrainer und drei deutsche Soldaten. Gemeinsam zogen wir weiter. Als wir wieder die Frontlinie erreichten, sind wir aber einem russischen Trupp in die Hände gefallen. Es war dunkel, und ich habe instinktiv meine Erkennungsmarke weggeworfen und alle Distinktionen von meiner Uniform entfernt. Bei der Vernehmung sagten ich und der andere Ukrainer dann, wir wären von Lemberg aus mitgenommen und gezwungen worden, Schanzen zu graben. Auch gab ich einen falschen Geburtsort an. Ganz glaubte man uns freilich nicht. Als wir in ein rückwärtiges Gefangenenlager marschieren sollten, gelang es mir und dem anderen Ukrainer, wieder zu entfliehen. Nach ein paar Tagen hat uns jedoch ein Pole verraten, den wir um Essen gebeten hatten, und wir wurden wieder gefangengenommen und jetzt nach Przemysl gebracht. Wieder die gleichen Fragen und Antworten, tagelang. Als man uns woanders hinbringen wollte, kamen wir am Bahnhof vorbei, in einer Gegend, wo ich als Kind viele Jahre gelebt hatte. Dort kannte ich jeden Stein. Mit einem kleinen Trick gelang es uns, zu entkommen, und ich konnte mich nach Lemberg durchschlagen. Da habe ich mich eineinhalb Jahre in einem griechisch-katholischen Priesterseminar versteckt. Schließlich wagte ich mich wieder zu meiner Mutter, und keiner der Nachbarn, von denen jeder wußte, daß ich zur Waffen-SS gegangen war, hat mich verraten. Ich besuchte dann ganz normal weiter die Schulen, führte aber auch gleichzeitig einige Erkundungsaufträge für die ukrainische Freiheitsarmee aus, die damals noch in den Wäldern gegen die Sowjets kämpfte.
Beruflich wurde ich letztlich Professor an der landwirtschaftlichen Universität in Lemberg. Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion aber mußte ich Angst haben, daß schließlich doch noch entdeckt würde, was ich als Jugendlicher gemacht hatte.
Was ist sonst mit ukrainischen Waffen-SS-Soldaten passiert, die in Gefangenschaft gerieten?
Pryjma: Die meisten wurden sofort erschossen. Nur wer das Glück hatte, von einem Ukrainer oder manchmal auch von einem mitleidigen Russen gefangengenommen zu werden, hat die ersten Minuten überlebt. Diese kamen dann nach Sibirien, die meisten für 20 Jahre.
Gibt es heute noch einen Verband Ihrer Division?
Pryjma: Ja, in Lemberg haben wir ungefähr 300 Mitglieder und sogar ein Museum. Dann gibt es noch einige weitere Ortsgruppen in der Ukraine sowie eigene Verbände in den USA, in Kanada, England und Deutschland.
Welche Gründe gab es für die ukrainischen Freiwilligen, zur Waffen-SS zu gehen?
Pryjma: Beinahe alle hatten zwei Ziele. Erstens wollten wir gegen den Kommunismus kämpfen, zweitens die Unabhängigkeit und Freiheit unseres Landes erringen. Wir wollten eine gute militärische Ausbildung erhalten und eine eigene ukrainische Armee bilden. Unser Ziel war es, Verbündete der Deutschen zu sein, aber nicht, unter deutscher Herrschaft zu stehen.
Es meldeten sich daher auch vor allem Angehörige des Bürgertums und der Intelligenzschichten, viele Schüler, Studenten und Lehrer. Die Musikhochschule Lemberg etwa ist geschlossen – alle Schüler und Lehrer – bei der Waffen-SS eingetreten.
Überhaupt waren gerade wir galizischen Ukrainer damals noch sehr westlich orientiert. In vielen Bauernhäusern hing immer noch im Herrgottswinkel ein Bild von Kaiser Franz Joseph. Insgesamt meldeten sich 80.000 Männer.
Sie sagen, daß viele ukrainische Waffen-SS-Soldaten in westlichen Ländern Aufnahme gefunden haben. Sind sie nicht, wie die Kosaken auch, an die Sowjets ausgeliefert worden?
Pryjma: Nein, zu Kriegsende wurde das deutsche Rahmenpersonal entlassen und die 14. Waffen-Gren.-Div. der SS (Ukrain. Nr. 1) in 1. ukrainische Division der ukrainischen Nationalarmee umbenannt und unter Führung von General Schandruk gestellt. Das Offizierskorps bestand nun ausschließlich aus Ukrainern, unter denen viele ältere ihr Offizierspatent noch während der K.u.k.-Zeit erhalten hatten. Ein großer Teil der Division konnte sich bis nach Klagenfurt durchschlagen, dort haben die Offiziere dem englischen General klargemacht, daß sie ehemalige k.u.k.-Offiziere waren, also keine Sowjetrussen, sondern Altösterreicher sind, das war ihre Lebensrettung. Niemand wurde ausgeliefert, nur jene, die den Versprechungen der Kommunisten glaubten, sind freiwillig nach Hause gefahren und freilich gleich nach Sibirien geschickt worden.
Heute spricht man viel über die Zwangsarbeiter. Wie hat das in der Ukraine ausgesehen?
Pryjma: Es hat viele gegeben, die freiwillig zur Arbeit nach Deutschland gegangen sind, es hat aber auch planmäßige Aushebungen gegeben, wo jedes Dorf und jede Stadt soundsoviele Arbeiter zu stellen hatte und Polizei und Soldaten dann ganz einfach auf offener Straße die entsprechende Zahl zusammenfingen.
Meine spätere Frau und ihre Mutter arbeiteten freiwillig in Deutschland, und zwar in Dresden. Dort haben sie den angloamerikanischen Bombenangriff mitgemacht und um ihr Leben gebangt, weil sie ja in Baracken auf dem Territorium einer Fabrik wohnten. Aber die Amerikaner waren damals an den Fabriken nicht interessiert, sondern bombardierten nur die Wohngegenden. So kamen die beiden mit dem Leben davon.
Was ist mit den repatriierten Arbeitern in der Sowjetunion geschehen?
Pryjma: Sie haben natürlich alle gesagt, daß sie Zwangsarbeiter waren. Sie waren zwar gewissen Repressionen ausgesetzt, wurden aber nicht generell nach Sibirien deportiert. Zwar wurde vor 1940 und nach 1945 insgesamt ein Fünftel der Bevölkerung Galiziens deportiert, aber die Gründe waren oft zufällig, persönliche Racheakte, oder weil jemand eine schöne Wohnung hatte, die ein anderer haben wollte.