Archiv > Jahrgang 2000 > NO IV/2000 > Kaiser des Abendlandes 

Kaiser des Abendlandes

Von Martin Schwarz

Reichsidee, Katholizismus und Heidentum

Jahrhundertelang standen Kaiser und Papst in Auseinandersetzung um die Vorherrschaft in Europa. Doch die schließliche Scheidung dieser beiden zwar unterschiedlichen, aber dennoch aufeinander bezogenen Prinzipien zeitigte verderbliche Folgen: Nicht nur in der Geschichte, sondern auch heute und in Zukunft.

Friedrich I. Barbarossa, der große Stauferkaiser, ließ am 29. Dezember 1165 die Gebeine seines Vorgängers Karls des Großen anläßlich der von ihm betriebenen Heiligsprechung aus dem Sarkophag nehmen und in einem goldenen Behältnis wieder ehrenvoll beisetzen. Am 27. Juli 1215 schlug sein Nachfolger Friedrich II. eigenhändig den letzten Nagel in den Karlsschrein des Aachener Münsters, wo die Gebeine des Begründers des Heiligen Römischen Reiches seither ruhen. Die Verbindung des hochverehrten und vielgeschmähten Karls des Großen mit den beiden Hohenstaufen, deren Bewertung noch stärker die Parteiungen zerreißt, aber in jedem Fall nach dem Superlativ verlangt, ist vielen ein tiefes Ärgernis. Denn die Verbindung zwischen Ursprung und tragischem Höhepunkt der christlich-abendländischen Geschichte wird heute nicht mehr gesehen. Die jahrhundertelange Rivalität jener beiden Prinzipien, die Europa schufen und bewahrten, hat Erben Platz gegeben, die beweisen, wie eine einseitige Ausrichtung auf eines der beiden Prinzipien nur Zerrbilder, gräßliche Simulakren, hervorruft. Wir sprechen natürlich vom Kaisertum als solarem hyperboräischen Herrschaftsprinizip und vom Papsttum, der lunaren Widerspiegelung des transzendenten Christus. In einer relativ kurzen, aber wichtigen Epoche wurden die jeweiligen Anhänger einerseits Ghibellinen und andererseits Guelfen genannt. Seltsamerweise sind die entarteten Erben der beiden Richtungen gerade nach jahrhundertelanger Auseinanderstrebung – in den laizistischen Staat und in die rein geistliche Herrschaft – dabei, sich in ihrer Verzerrung wieder anzugleichen. Die angemaßten Erben der verketzerten Ghibellinen wurden tatsächlich zu Ketzern und speisten die kirchenfeindlichen Strömungen der Rosenkreuzer und Freimaurer bis hin zu deren Triumph in den „großen“ Revolutionen, durch die die Geschichte der letzten Jahrhunderte in blutiges Rot getaucht wurde.
Die rein Katholischen wiederum haben nach dem Fallenlassen des Reichsgedankens zunehmend zusehen müssen, wie sich ihre Kirche in ein moralistisches und schließlich relativistisches Christentum der Wohlgefühle auflöste, bis hin zur großen Vergebungsbitte für all jene geschichtlichen Notwendigkeiten – „Verfehlungen“ –,  die der Kirche das Überleben überhaupt erst ermöglicht hatten. Vereint haben sich die beiden im Geistigen verkümmerten Strömungen schließlich in diesem Jahrhundert. Die Rosenkreuzer hatten bereits danach gestrebt, „das dreifache Diadem des Papstes zu Staub zu machen“; unter dem unseligen Angelo Roncalli, der als Johannes XXIII. das Amt des Stellvertreters Christi erklommen hatte, ist dies in geistiger Hinsicht geschehen, sein nicht minder unheilvoller Nachfolger konnte dann die Tiara tatsächlich ablegen und für Silberlinge hingeben,  ohne daß dieser Akt der Apostasie noch genügend Beachtung findet – man erkennt die Symbolik der Handlung nicht mehr. Nun, diese Wege ins Nichts der Auflösung aller Dinge seien zunächst sich selbst überlassen.
Wenden wir uns den legitimeren Erben zu, so sehen wir hier katholische „Fundamentalisten“, die Erben des Guelfentums und Verteidiger des Papsttums, und dort die heidnischen „Reichstreuen“, die Erben des Ghibellinentums, die einen Diskurs über eine „Renaissance“ (horribile dictu) des Reichsgedankens führen möchten. Sehr leicht lassen sie sich an ihren geschichtlichen Orientierungspunkten festmachen. Das sind zum einen jene, die Karl den Großen als Musterbild christlichen Herrschertums verehren, in Friedrich II. aber schaudernd ein Abbild des Antichristen, zumindest aber einen neuen Julian Apostata erblicken. Umgekehrt nennen oft gerade Verehrer der beiden Stauferkaiser den großen Karl einen „Sachsenschlächter“ oder gehen heute gar den Weg, aufgrund windiger Sophismen drei Jahrhunderte abendländischer Geschichte, deren wunderbare Entfaltung nicht in ihr modernes Weltbild paßt, für ungeschehen erklären zu wollen.
Unsere These hingegen sei hier bekannt: die beiden Herrschaftsepochen, die karolingische und die staufische, gehören weit eher zusammen und sind in gemeinsamer, monumentaler Geschichtsauffassung – um Nietzsches Unterscheidung der drei Formen der Historie aufzunehmen – gegen antiquarische und kritische Entsorgungsstrategien fruchtbar zu machen.

Ex oriente Abul Abbas

Die Berufung der Staufer als Wiederhersteller des Reiches ist keine äußerliche. Weder hatte die damalige Zeit jenen naiven Kult der Größe, der es etwa erlaubte, daß Adolf Hitler einen Napoleon Bonaparte verehren konnte (ein Zeichen dafür, das allerspätestens mit der „Großen Französischen Revolution“ der Geschichtszug des Abendlands entgleist war). Noch war die Verehrung Karls des Großen für die Staufer eine unverbindliche Sache, etwa wie die Entgegennahme eines „Karlspreises“ durch erklärte Reichsfeinde und wichtigtuerische Zwerge. Durch die vier Jahrhunderte von der Kaiserkrönung Karls bis zum Tode Friedrichs II., die sich seltsamer Weise im Dezember des heiligen Jahres 2000 so rund jähren (750. Todestag Friedrichs II. am 13. Dezember, 1200. Jahrestag Krönung Karls des Großen am 25. Dezember), spannt sich ein Mythos, der von konkreten, geschichtlich handelnden Gruppen gewebt und getragen wurde, ein Mythos von der Wiederherstellung des Reiches, ein Mythos von den geheimnisvollen Kräften heiligen Blutes, ein Mythos von der unterbliebenen Verbindung von Himmel und Erde. Die im neunten Jahrhundert entstandene und im dreizehnten Jahrhundert ihren Gipfelpunkt erreichende Legende vom Heiligen Gral und den zu seinen Diensten berufenen Rittern bildet den ideologischen Kern dessen, was wir im nachhinein als „katholischen Ghibellinismus“ bezeichnen möchten. In seltsamer Weise ist diese Traditionslinie auch von Anbeginn an mit der Begegnung von Okzident und Orient verknüpft. In seltsamer Weise deswegen, weil auch hier die ghibellinische und karolingische Tradition den nur negativ verlaufenden Begegnungen von Abend- und Morgenland in Kriegen und Raubzügen entgegensteht: von Abul Abbas, dem Elefanten, der zum Staunen der Aachener Gesellschaft 802 als Geschenk des Kalifen von Bagdad eintraf, bis zu jener muslimischen Enklave, die sich in Lucera im Auftrag des zweiten Friedrich etablierte.
Der Kalif Al Mansur hatte 762 an der Grenze zwischen dem Gebiet der unterworfenen Perser und der siegreichen Araber Bagdad (= „von Gott gegeben“) gegründet. In einem jener seltenen Beispiele, in denen Eroberer von den Unterlegenen ebenso viel annehmen wie umgekehrt, verbreiteten sich zu jener Zeit die persische, also indoeuropäische, Weltsicht und Wissenschaft in der gesamten muslimischen Welt. Bereits 765 gelangte die erste fränkische Gesandtschaft nach Bagdad, entsandt von den Eltern Karls des Großen, nach drei Jahren kehrte sie zurück. Die Legende von Flore und Blanscheflor aus jener Zeit enthält erste Elemente eines orientalisch-nestorianischen Gralssuchertums, ebenfalls die anläßlich eines Kriegszuges gegen die Araber in Spanien (827) entstandene Sage von Hugo von Tours. Die ganz auf das „ex oriente lux“ bzw. auf das irdische Jerusalem gerichteten Sagen, die in der Überführung von Blutreliquien Christi aus dem Heiligen Land ihre Entsprechung haben, finden durch die Kaiserkrönung Karls erstmalig ihre Verbindung mit Rom. Es muß betont werden, daß diese historisch wirksame Verknüpfung des Kaiser- und Papsttums zwar vielleicht naheliegend, aber keineswegs zwingend war. Die Fliehkräfte, die dieses Bündnis zu zerreißen drohten und zeitweise zerrissen, waren immer vorhanden, ebenso die römischen Bestrebungen, beide Funktionen für immer unter ein Joch zu zwingen.
Nur von der Etablierung des Zentrums der Kirche in Rom her ist es zu verstehen, warum die latent antikirchlichen Strömungen den Umweg über Jerusalem gegangen sind, jenes eigentliche Zentrum des christlichen Heilsgeschehens, das sich als Projektionsfläche der Sehnsucht nach einem wahren, nicht durch irdische Machenschaft verunreinigten Tempel eignete. Von den ketzerischen Katharern, deren persische Beeinflußung im Mythos des ewigen Kampfes des Feuers und der Finsternis aufzufinden ist, zu den häretischen Tendenzen innerhalb der Templer und bis zu den späten, schon neuzeitlichen rosenkreuzerischen Schwärmern stehen diese Strömungen immer auch mit der Gralssage in Verbindung.

Parzifal und der Priesterkönig

Im zwölften Jahrhundert rückt nun die Parzifal-Variante der Gralssuche ins Zentrum: der verwundete König, das der Erlösung harrende Reich. Die Grundidee dieser Geschichte muß hier als bekannt vorausgesetzt werden. Parzifals Versäumnis – die nicht gestellte Frage angesichts des verwundeten Gralskönigs und der dahinsiechenden Ritterschaft – kann erst nach langer, vergeblicher Suche wiedergutgemacht werden. Interessanterweise gibt es eine ähnliche altitalienische Legende in bezug auf Kaiser Friedrich II., in welcher der Priesterkönig Johannes den Kaiser auf eine ähnliche „Probe“ stellt. Der Priesterkönig Johannes ist offenbar eine abenteuerliche Mischung aus der mittelalterlichen Realität des Mongolenreiches, der Ahnung eines östlichen – indischen – Christentums und der Symbolik des zugleich priesterlichen und königlichen „Herrn der Welt“, wie er alttestamentarisch in der Gestalt des Melchisedek bekannt war – dieser gelangte in jener Epoche in den Kathedralenbauten zu neuer Prominenz – und fernöstlich in den Legenden von Shambhala und Asgartha (Asgard) eine erstaunliche Parallele findet. Für jene Zeit war der Priesterkönig Johannes aber keine bloß mystische Gestalt, sondern wurde als so real angesehen, daß sogar Briefe von ihm beim Papst ankamen. Gerd-Klaus Kaltenbrunner hat das wunderbare und faszinierende Buch „Johannes ist sein Name. Priesterkönig – Gralshüter – Traumgestalt“ (Die graue Edition 1993) den Spuren dieser esoterischen Hauptfigur des Hochmittelalters gewidmet. Wir sehen aber, wie wieder der Orient ins Spiel kommt, auf der symbolischen Ebene durch den asiatischen Herrscher, der die apokalyptischen Reitervölker Gog und Magog im Schach hält und ihnen den Einfall nach Europa verwehrt. Auf der realen Ebene durch den Kreuzzug, den Friedrich in ein Bündnis mit dem Orient umwandelt, bis hin zur Annahme orientalischer Herrschaftspraktiken, die wohl weniger Friedrichs persönlichen Geschmack entspringen als dem Anspruch, Herrscher des Okzidents und des Orients zu werden, ein wirkliches Abbild des Rex mundi.
Der Priesterkönig Johannes übersendet nun Friedrich, den er als „Spiegel der Welt“ bezeichnet, durch einen Boten drei Steine und läßt an ihn die Frage stellen, was er für das Beste auf Erden hält. Darauf antwortet dieser: „das Maß“, nimmt aber die Steine, ohne nach ihren Kräften zu fragen. Daraus folgert der Priester Johannes, der „Kaiser sei weise in Worten, aber nicht in Taten, weil er nicht nach den Kräften der Steine gefragt hatte, die von so besonders edler Art waren“. Diese würden nun „mit der Zeit ihre Kraft verlieren, weil sie vom Kaiser nicht erkannt worden sind“. Ähnliche Legenden sprechen von einem Ring mit drei Steinen, der dem Kaiser geschenkt wird, oftmals wird in den Legenden vor allem jener Stein betont, der die Kraft besitzt, unsichtbar zu machen. Der Stein, der nach seinen Eigenschaften befragt werden sollte, weist offensichtlich eine Parallele zum Gral auf, nach dessen Eigenschaften der Tor Parzifal nicht fragt. Vielleicht besteht auch ein leichter Anklang an den Schwarzen Stein der Kaaba, deren Existenz und die darum sich rankenden Legenden natürlich durch das sarazenische Heer Friedrichs bekannt waren. Vor allem ist dieser Stein offenbar ein „Stein, der nicht ein Stein ist“, auf den wir in den hermetischen Texten immer wieder stoßen (wir vermeiden den Ausdruck Alchymie, der sofort an Chemisches denken läßt, mit dieser materialistisch mißdeuteten – sprich modernen – Verfallsform hat die wahre Hermetik gerade nichts zu tun.) Dieser Stein ist nur auf dem Gipfel des höchsten Berges – des polaren Berges der Mitternachtssonne – zu finden, er ist der lapis elixier (Wolfram von Eschenbachs verballhornter „lapsit exillis“), der die Schwärze (nigredo) einer Reinigung (albedo) unterzieht, um sich im königlichen Rot (rubedo) zu vollenden. Dieser Stein der Weisen ist der Stein der königlichen Kunst, die sich in der Abfolge der hermetischen Reichsfarben Schwarz-Weiß-Rot entfaltet.
Zudem erblicken wir in der Bergsymbolik einen Vorschein des Kyffhäusers und des Untersbergs, in deren verborgenes Inneres die Kaiser – Karl oder Friedrich? – entrückt werden, nachdem sie selbst zum Gral geworden sind, den es wiederzufinden gilt. Ist diese Deutung richtig, und es ließen sich viele Belege und Anspielungen finden, die nur durch die Kombination Hermetik – Gralslegenden – Reichsgedanke ihre Erklärung finden (siehe: Julius Evola: Das Mysterium des Grals, Sinzheim 1995), so enthüllt sich uns die ghibellinische Idee als etwas Tiefergehendes, als es der Vorherrschaftsanspruch des Kaisers gegenüber der Kirche wäre: nämlich als jene andere Sakralität, die dem königlichen Prinzip als solchem zu eigen ist und die nicht durch die Geistlichkeit verliehen werden kann. Eine Sakralität, die eine Umwandlung und Einweihung durch die Königswerdung erfordert, wie sie nachweislich als hyperboräische (indogermanische, wenn man dies lieber hört) Tradition existiert, aber auch – wie angedeutet – ihre Parallelen in orientalischen Traditionen persischen und indischen Ursprungs hat.
Friedrich II. sei der „Spiegel der Welt“, sagte Johannes. Jedoch war er sicherlich nicht der Mond, der matt das Licht einer fremden Sonne wiedergibt (hierzu wollte das Papsttum ihn erniedrigen). Er war ein magischer Spiegel, in dessen Brennpunkt er sich selbst entzündete, als Selbstverbrenner, wie er sich selbst angesichts seines Kreuzzugsgelübdes in Aachen bezeichnet: als Holokauston, Opferbrand. Er hatte etwas von den hermetischen Eigenschaften des männlichen Feuerprinzips: Sonne, Schwefel, Feuer, Arsenik – dies ergibt einen Schwefelgeruch, dessen Herkunft die päpstliche Partei nur allzu gut zu riechen glaubte. Tatsächlich lautete die erste, in Sizilien sich verbreitende Legende, Friedrich sei nicht gestorben, sondern in das Erdinnere aufgenommen worden, er sei in den Höllenschlund des Ätna gefahren (Franz Kampers: Vom Werdegange der abendländischen Kaisermystik, Hildesheim 1973), wie es sich für einen „Antichrist“ gebührt; diese Geschichte drückt wohl auch jene Mischung aus Dämonie und Verehrung aus, wie sie später auch seinem entfernten Namensvetter  Friedrich II. von Preußen anhaftet – aber das ist eine andere Geschichte.
Die Ablehnung dieser Tradition bedeutete eine Schwächung des Papsttums, das dann als weltliche Herrschaft nicht die Stütze jenes hyperboräischen Erbes hatte, das es in der eigenen Tradition nicht finden kann. Umgekehrt bewirkt das Verschließen des weltlichen Herrschers gegenüber der spirituellen Seite des Priesterkönigs, also das Stützen auf die rein materiell-technokratischen Aspekte des Herrschens, daß jener die Horden von Gog und Magog, die kollektivistisch-nivellierenden Mächte der Völkermassen, nicht mehr zu bannen versteht. Brechen diese dämonischen Kollektivmächte hervor, dann naht sich dem Königtum der Tag der Guillotine, der Zahltag für die Hinwendung zum Götzen der Macht – in den Zerstörungsorgien der Französischen Revolution zerbrach dann folgerichtig die vom Himmel stammende Ampulle mit dem Öl der fränkischen Königsweihe.
Doch auch Friedrich hat nicht gefragt – hat er die Steine als Steine genommen? Die modernen Aspekte der Herrschaft Friedrichs scheinen bereits ein Übersehen spiritueller Prinzipien anzudeuten. Man hat ihn den ersten modernen Herrscher genannt und gemeint, ihm damit Ehre anzutun. Wir sehen in ihm lieber den letzten Herrscher des Mittelalters, der die Gelegenheit suchte, die Frage wie Parzifal beim zweiten Mal zu stellen, das Reich zu retten durch sein Selbstopfer, aber auch durch die Anbindung an Karl den Großen, den untadelig christlichen Mehrer und Erhalter des Reiches.

Die letzten Ghibellinen

In den 750 Jahren seit dem Tode des Kaisers und den Jahrhunderten seit dem Ende des Heiligen Römischen Reiches haben sich viele Herrscher und Ideologen auf die beiden großen Hohenstaufen und auf die ghibellinische Reichsidee berufen, wenige waren dieses Erbes würdig. Ein italienischer Philosoph sizilianischen Adels wurde als der „letzte Ghibelline“ bezeichnet: Julius Evola (1898–1974), dessen Werk unter dem Gesichtspunkt des imperialen Charakters der Spiritualität gesehen werden kann. Zunächst sah er das Ghibellinische noch einseitig verzerrt als „Heidnischen Imperialismus“ – wie er später einsah unter Einfluß masonischer Einflüsterung. In seinem geschichtsphilosophischen Hauptwerk „Revolte gegen die moderne Welt“ verfolgte er die Linien der indoeuropäischen Tradition von den Ursprüngen bis in die triste Gegenwart – der erneuerte Höhepunkt dieses Geschichtspanoramas blieb für ihn die Epoche der Hohenstaufen, nicht die darauffolgende Schein-Renaissance, die den Niedergang Europas einleitete. Durch die Bekanntschaft mit den großen Denkern der Gegenrevolution – Joseph de Maistre, Donoso Cortés, Fürst Clemens Metternich – näherte er sich der katholischen Denkweise – allerdings immer von außen! – soweit an, daß er eine Synthese für möglich, wünschenswert, wenn auch nicht wahrscheinlich hielt. „Wenn wir uns an die in ihrer Art mannhafte Phase des Katholizismus halten, können wir darin einige Werte erkennen, die nicht notwendigerweise mit dem arisch-römischen und dem arisch-germanischen Ideal in Widerspruch stehen. Man soll nicht vergessen, daß für viele europäische Völker der Katholizismus eine Überlieferung vieler Jahrhunderte bedeutet, die man nicht von heute auf morgen ohne zerstörerische Folgeerscheinungen über Bord werfen kann“ (Reich und Imperium als Element der neuen europäischen Ordnung, 1942). Unter diesem Gesichtspunkt versuchte er während des Zweiten Weltkriegs eine übernationale Gralsritterschaft ins Leben zu rufen, die den Aufbau einer neuen geistig fundierten europäischen Ordnung bewerkstelligen sollte. Vergebens, wie wir wissen.
Von der anderen Seite kommt ein weiterer, allerdings weniger bekannter, aber zu entdeckender Italiener: Attilo Mordini (1923–1966), der das „katholische Ghibellinentum“ zu seinem Leitbild erkor. Der Tertianer des Franziskanerordens veröffentlichte einige wenige Beiträge auch in deutscher Sprache in der Zeitschrift „Kairos“. Sein Hauptwerk „Il Mito primordiale del cristianismo (Mailand 1976) versucht eine Einbindung des Christentums in die Traditionswelt, die auch eine des Reiches ist, ohne die Eigenart des Christlichen zu verleugnen. Zahlreiche seiner Werke sind bisher überhaupt unveröffentlicht.
Von mancher Seite als „katholischer Evola“ bezeichnet, vertrat er die Ansicht, daß die Krise der katholischen Kirche nur durch eine Wiederaufnahme des Gedankens des Regnum Sanctum und der Verfall der europäischen Kultur nur durch eine Reintegration eines kämpferischen Christentums überwunden werden können. Dieser Ansicht möchte ich mich ausdrücklich anschließen, da sonst diese Rolle dem Islam zufällt, der, wie dieser Aufsatz zeigte, schon mehrmals an die Tür gepocht hat und der von seiner Seite her unter Aufnahme der persischen Traditionslinien neue Synthesen und neue Spannungen herbeiführen könnte.

Martin Schwarz betreibt einen Informationsdienst im Internet unter der Adresse:
www.geocities.com/kshatriya
Vor allem Julius Evola steht im Mittelpunkt der zugänglichen Texte, die auch folgende Themen umfassen: „Gottfried von Bouillon: Jerusalem gegen Rom – Der geheime Sinn der Kreuzzüge“, „Moeller van den Bruck: Das Dritte Reich – Ideengeschichte eines mißbrauchten Begriffs“, „Mahabharata: Die weiblichen Pflichten“, „Hans F. K. Günther: Das Weib und der heldische Gedanke“ etc.

 
Neue Ordnung, ARES Verlag, A-8010 Graz, EMail: neue-ordnung@ares-verlag.com