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Blockwarte, Ideologen, Exekutoren

Von Mag. Wolfgang Dvorak-Stocker

1938 konnten Juden in Deutschland, wenngleich unter zunehmender staatlicher Ausgrenzung leidend, immer noch leben. Manchen war das gar nicht recht. Im „Stürmer“, von dem mir einige Ausgaben vor kurzem in die Hände fielen, gab es regelmäßig zwei Seiten Kurzmeldungen in der Art: „Die Ehefrau des Lokomotivführers Daniel Fluhr aus Grünstadt (Saar-Pfalz) pflegt freundschaftlichen Verkehr mit der Jüdin Amalie Laubner und geht mit ihr spazieren.“ Mit Name und Adresse wurden jene angeprangert, die bei Juden einkauften, ihnen Wohnungen vermieteten oder auch nur mit ihnen sprachen.

Exakt dieselbe Geisteshaltung finden wir heute in linken Kreisen, die es als Zeichen für „Zivilcourage“ halten, wenn sie Bürger in anonymen Postwurfsendungen darauf aufmerksam machen, daß ein „Nazi“ mit ihnen im gleichen Haus wohnt oder im selben Kirchenchor singt. Dabei geht es nicht darum, daß der betreffende Mensch ein strafrechtlich relevantes Verbrechen begangen hat (selbst die Anprangerung eines solchen ist nach verbüßter Strafe nicht statthaft), sondern nur um mutmaßliche ideologische Positionen, die der jeweiligen Person aus linksextremer Sicht zugeschrieben werden. Es ist in der Tat dieselbe Geisteshaltung, dasselbe Blockwart-Denken, derselbe Wunsch nach Gedankenkontrolle und dieselbe heimliche Erregung, die diesen Menschenschlag befällt, wenn er ein wehrloses Opfer quälen kann. Und es funktioniert genauso gut wie 1938, weil sich die gleichgültige Mehrheit wegduckt oder verhalten mitmacht, weil es im Zweifelsfall eben von Vorteil ist, sich auf die Seite des Lynchmobs zu stellen – und nicht gegen ihn. Da finden biedere Handwerker keine Stelle mehr, weil jeder Arbeitgeber sofort telefonisch bedroht wird, warum er einen „Nazi“ tropfende Wasserhähne reparieren läßt. Da werden Kindergärtnerinnen gekündigt, denen nie ein falsches Wort entschlüpft ist, nur weil ihr Partner sein Kreuzchen bei der falschen Partei macht. Deutschland hat, wieder einmal, wie 1938, eine Vorreiterrolle beim neuen Schwarzer-Peter-Spiel. Doch auch Österreich kann sich sehen lassen. Auch hier wurden schon Firmen unter Druck gesetzt, die Menschen eine Chance auf Arbeit und Brot und damit auf ein bürgerliches Leben geboten haben, die auf einer der unzähligen schwarzen Listen standen, die grüne Abgeordnete für ihr Leben gern anzulegen pflegen. Öllinger und Co. sind in diesem Sinne Brüder im Geiste von Julius Streicher.
Vor einigen Wochen besuchte ich einen Autor, der tief in der brandenburgischen Provinz lebt. Beim Gang durch den Ort grüßt ein junger Mann freundlich über den Gartenzaun. „Eine bemerkenswerte Familie“, sagt mein Autor. „Der Großvater war SS-Führer, der Vater ein ganz hohes Tier bei der Stasi. Nach der Wende hat er ein paar Jahre still gehalten und dann mit seinen alten Stasi Kontakten wieder Karriere gemacht. Politisch ist er natürlich bei der CDU engagiert.“ – „Der Abschaum schwimmt immer oben“, antworte ich. „Nein, falsch“, meint mein Autor. „Die Familie ist absolut leistungswillig und tüchtig. Aber sie will eines: Immer vorne sein.“ Natürlich hat er recht. Meine Antwort war vorschnell gegeben. Der „Abschaum“ ist nur für Massaker gut. Revolutionen kann er keine machen. Er wird allenfalls benutzt, von ganz anderen Kräften, solche voranzutreiben wie 1789 in Frankreich. Die Massenmörder, die das Land damals in ihre Gewalt brachten, waren Rechtsanwälte, Ärzte, Akademiker. Das hungernde Volk stellte für sie nur die Bauern am Schachbrett. Und wenn diese, wie in der Vendée, aufmüpfig wurden, schlachtete man sie zu Zehntausenden ab.

Ideologisch fanatisierte Idealisten können an Ausschreitungen, an Massakern Schuld tragen. Meist aber quälen sie sich mit Skrupeln und Verfahrensfragen oder überwerfen sich mit den faktischen Machthabern über weltanschauliche Detailfragen. Die eigentlichen Exekutoren der Weltgeschichte sind die Leistungswilligen, die Karrieretypen, jene, die vorne, oben dabei sein wollen, wie die Familie in dem brandenburgischen Dorf. Und weil dieser Menschenschlag sich mit wieselflinkem Instinkt umorientiert, wenn die Stunde gekommen ist, funktionieren Revolutionen auch so reibungslos: In Deutschland 1989, 1945, 1933 …

Diese Tatsachen müssen wir berücksichtigen. Moralisch kann man sie verurteilen, aber was bringt das: So ist die Welt, die civitas terrena, gebaut. Es gilt, diese Konstante der Menschheitsgeschichte im Auge zu behalten für den Moment, der kommen wird. Und dann die Geister zu scheiden. Soweit möglich. 

 
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