In einer Veröffentlichung des „Deutschen Instituts für Jugend und Gesellschaft“ (Bulletin 20/2011) faßt Christl R. Vonholdt den aktuellen Forschungsstand bezüglich der Entwicklung von Homosexualität zusammen. Danach gibt es kein „Schwulengen“, genetische Faktoren wie eine angeborene hohe Sensibilität oder bestimmte Eigenschaften des Kindes (bei einem Jungen etwa geringere Aggressivität, geringere Robustheit), spielen nur eine Teilrolle: „Komplexe Beziehungserfahrungen, insbesondere, wie ein Kind seine Umwelt erlebt und diese Erlebnisse für sich deutet, sind aber entscheidender. Biographien homosexuell empfindender Menschen zeigen immer wieder, daß homosexuelle Neigungen ihre Wurzeln oft in der frühen Kindheit haben. Sie liegen in (vom Kind so erlebten) frühen Bindungs- und Beziehungsverletzungen, insbesondere was die Bindung zum gleichgeschlechtlichen Elternteil angeht. In der Pubertät können die aus diesen Beziehungsverletzungen herrührenden ungestillten emotionalen Bedürfnisse nach Zuwendung, Angenommensein und Wertschätzung durch den gleichgeschlechtlichen Elternteil sexualisiert und auf Menschen des gleichen Geschlechts übertragen werden.“
Konkret heißt das: „Die heterosexuelle Entwicklung eines Jungen setzt voraus, daß er sich in einer bestimmten frühen Entwicklungsphase als ‚anders‘ als die Mutter lebt erlebt, und zwar als ‚so wie der Vater‘. Dazu braucht es eine positive Verbindung zum Vater.“ Kann er seine Männlichkeit nicht entwickeln, fühlt er sich nicht nur vom Vater entfremdet, sondern auch von seinen gleichaltrigen Kameraden. „In der Pubertät beginnt er zu bewundern, woran er den Anschluß nicht gefunden hat: die männliche Welt. Diese Bewunderung nimmt erotische Züge an. Mit den stärksten ihm zur Verfügung stehenden Gefühlen, den sexuellen, versucht er seine größte emotionale Not zu lindern: Im Sex sucht er Anschluß an die Männlichkeit.“ … „Erwachsene, die sich als ‚schwul‘ bezeichnen, haben weite Teile ihrer Kindheit in emotionaler Isolation gelebt – innerlich isoliert von anderen, insbesondere vom Vater und den gleichgeschlechtlichen Kameraden. In der Familie hatten sie häufig die Rolle des braven Jungen.“
Wie homosexuelles Verhalten von Burschen die Suche nach dem eigenen verlorenen männlichen Selbst ist, können Mädchen, die in der Familie keine echte Wertschätzung der Weiblichkeit erlebt haben, sich mit dem Männlichen überidentifizieren und dadurch als erwachsene Frau in der Homosexualität eine Verbindung zur Weiblichkeit suchen. Auch eine zu starke Mutterbindung kann zur Homosexualität führen, wenn die Mutter die Autonomiebestrebungen des Jungen durch Liebesentzug bestraft und sich dieser davon nicht freimachen kann.
Weiters zeigt sich, daß homosexuell empfindende Männer und Frauen in ihrer Jugend weit häufiger sexuell mißbraucht wurden als heterosexuell empfindende. Ob ein ursächlicher Zusammenhang besteht, also der Mißbrauch die andere sexuelle Orientierung erst ausgelöst hat, oder ob latent homosexuelle Jugendliche für Mißbrauch anfälliger sind, ist ungeklärt, jedenfalls ist die Wahrscheinlichkeit, daß ein homosexuell lebender Mann einen Jungen zwischen 12 und 15 Jahren mißbraucht, fünfmal höher als die, daß ein heterosexueller Mann ein Mädchen im selben Alter mißbraucht.
Homosexuelle sind auch weit anfälliger für Depressionen, Alkohol- oder Drogenmißbrauch und Selbstmord – sogar im zunehmenden Maße, obwohl die westlichen Gesellschaften heute toleranter gegenüber schwulen Lebensformen sind als je zuvor.
Die Studie hält fest, daß niemand homosexuelle Empfindungen gewählt hat, jedoch „homosexuelle Identität“ sehr wohl gewählt wird, oft, weil der jeweilige Mensch nie erfahren hat, daß seine Gefühle auch auf Identitätskonflikte und Beziehungsverletzungen aus der Kindheit hindeuten können. „Sie erfahren nicht, daß eine therapeutische Arbeit an diesem Konflikt möglicherweise zu einer Abnahme homosexueller Gefühle führen kann.“
Auch die anderen Beiträge dieses Bulletins, das sich mit „Identitätsentwicklung und Erziehung“ befaßt, sind lesenswert: So geht es um Patchwork-Familien und die Probleme, die damit auf die Kinder zukommen, um Adoleszenz und sexuelle Orientierung sowie Kinder mit Störungen der Geschlechtsidentität, um die neuen Schulrichtlinien im Hinblick auf sexuelle Orientierung und zwei für alle Eltern lesenswerte Artikel zum Thema „Kinder stark machen“.
Das Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft ist unter der Internetadresse www.dijg.de erreichbar.