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Verhängnis Obama und keine Alternative

Von Univ.-Prof. Paul Gottfried

Brief aus Amerika


Alle vier Jahre rede ich mir ein, daß es unvorstellbar wäre, noch unsympathischere Präsidentschaftskandidaten zu bekommen als diejenigen, die unser Zweiparteiensystem gerade präsentiert. Dabei weiß ich sehr wohl, daß mit jedem neuen Schaukampf die Auswahl noch mißlicher wird. Bei dieser Präsidentenwahl sieht es jedenfalls so aus, daß die Bewerber noch weitaus kläglicher wirken als die Pferde, die man vor zwanzig Jahren ins Rennen schickte. In den USA stehen wir vor einer Wahlentscheidung, die ich schon jetzt gerne aus meiner Erinnerung löschen würde.

Auf der einen Seite will ein links eingestellter Schwarzer sein Amt verteidigen, der „fortschrittliche“ soziale Standpunkte mit einer dem Sozialismus verwandten Wirtschaftpolitik verbindet. Auf der (zumindest formal) entgegensetzten Seite kleckert die Opposition, wo sie klotzen sollte. Der ehemalige Gouverneur Romney tönt laut, aber hohl, über unseren wachsenden Schuldenberg und über die hohe Arbeitslosigkeitsrate, die Romney als ehemaliger Manager erfolgreich anzupacken verspricht. Dabei rangiert an erster Stelle die Ankündigung, das neue Gesundheitssystem „Obamacare“ wieder abzuschaffen. Wenn man aber näher hinhört, so wird deutlich, daß Romney keineswegs gesonnen ist, das Gesetz schlichtweg aufzuheben. Stattdessen will er das bestehende bundesstaatlich verwaltete Krankenversicherungsprogramm nur durch ein vermutlich weniger durchgreifendes ersetzen. Entsprechend lautet sein Wahlspruch: „Abolish and then replace“ (Abschaffen und dann ersetzen).
Mit den Fehlern, die er Obama in die Schuhe schiebt, ist Romney in Wirklichkeit genauso gravierend belastet. Zu seiner Amtszeit als Gouverneur im Bundesstaat Massachusetts hatte Romney ein kostspieliges Programm für die Krankenversorgung eingeführt. So plagen sich die dortigen Beamten mit finanziellen Defiziten, die das „bescheidene“ Konzept von Romney wie eine Zeitbombe gelegt hat. Bislang weigert sich der republikanische Kandidat, seine Fehlentscheidung einzugestehen. In eine unangenehme Lage gedrängt, versucht er, seine ehemalige verschwenderische Politik zu beschönigen und gleichzeitig Obamas Verschwendung aufs Korn zu nehmen.
Um die Sache noch zu erschweren, macht Romney die Krankenversicherung zum springenden Punkt seines Wahlkampfes. Nach seiner Sichtweise ist das durchaus verständlich. Mit seiner Wahlwerbung will Romney seine Zielgruppen nämlich nicht abschrecken. Das Konzept lautet, die farbigen Minderheiten und nach links tendierenden Frauen seinem Konkurrenten abzuwerben, und dementsprechend scheut Romney sich vor jedem Schritt, der diese Klientel beunruhigen könnte. Das muß zu Unklarheiten und Konfusionen führen, da derselbe Mann der Basis seiner eigenen Partei gegenüber erkennbar „konservativ“ auftreten muß. Obwohl Romney bei den Vorwahlen mit der Behauptung auftrumpfte, daß er unter den republikanischen Kandidaten der einzige sei, der genügend Rückhalt in der Mitte des politischen Spektrums habe, um Obama zu schlagen, hat er seitdem nichts Deutliches geleistet, um dem „konservativen“ Flügel seiner Partei entgegenzukommen. Eine diesbezügliche Änderung läßt bis heute auf sich warten.
Was die Situation noch schwerer durchschaubar macht, sind die führenden republikanischen und neokonservativen Medien (wobei zwischen beiden kaum ein Unterschied besteht). Diese Mächtigen sind von einer sehr begrenzten Anzahl von Anliegen getrieben, nämlich für sich und die von ihnen abhängige Klientel entsprechende Pfründe und den Zugang zu Staatsträgern zu erlangen und die Wirtschaft anzukurbeln, damit ihren Gönnern größerer Gewinn zufällt und die Regierung über gesteigerte Einkünfte zu Kriegszwecken verfügt. Außenpolitisch betreiben diese Ideologen eine Verstärkung der israelischen Verteidigung gegen ihre muslimischen Feinde und generell eine Ausdehnung der amerikanischen Einflußnahme.

Romney gilt als kleineres Übel

Im Gegensatz zur amerikanischen Öffentlichkeit, die keine Neigung zu militärischen Einsätzen und Interventionen bekundet, sehnen sich die Think Tanks der republikanischen Partei nach der Wiedergeburt einer amerikanischen Weltmission. Das resultiert zum Teil daraus, daß sich der Hauptmäzen der neokonservativen Medien, Rupert Murdoch, unausgesetzt mit weltpolitischen Fragen beschäftigt. Murdoch, ein australischer Pressezar, läßt die Kernpunkte der republikanischen Traditionalisten voller Verachtung an sich abprallen. Soweit er sich ideologisch äußert, steht Murdoch mehr links als rechts – abgesehen von seiner Begeisterung für die amerikanische Vormachtstellung. Seinen neokonservativen Verbündeten ist der protestantische Besitzer der „Jerusalem Post“ wegen ihres beiderseitigen Zionismus aufs engste verbunden. Er weiß, daß sein Geld dazu verwendet wird, die religiöse Rechte an der straffen Leine zu halten. Dieser Block läßt sich einspannen, um den republikanischen Präsidentschaftskandidaten zum Sieg zu verhelfen. Danach kann man sich anderen Angelegenheiten zuwenden. Inzwischen wird Romney von den Neokonservativen in die Außenpolitik eingewiesen.
Diesem Kurs folgt alles, was in der Partei Rang und Namen hat, bewußt oder unbewußt: Patrioten haben die Pflicht, so die republikanischen Wahlslogans, sich hinter Romney zusammenzuscharen, bevor Obama das Land herunterwirtschaftet. Wenn Romney schwankt und wankt, zum Beispiel in der Frage, wie die Regierung mit illegalen Einwanderern umgehen soll, und wenn er den Schwulen gegenüber (strategische) Annäherungsversuche macht, so muß die Basis dies hinnehmen und nie das Ziel aus dem Blick verlieren, Obama und seine schädliche Wirtschaftspolitik abzulösen. Der derzeitige Präsident tut alles, so die maßgebliche republikanische Auffassung, um Amerika zu einer zweitrangigen Macht zu degradieren; und in diesem Sinne schildert er unsere vorbildliche Demokratie als „ein Land unter anderen Ländern“, ohne ihre Einzigartigkeit und sittliche Vorreiterrolle hervorzuheben.
Zielstrebig setzt Romney auf die Sympathien aus der Mitte. Doch man soll keineswegs an seiner wirklichen Absicht zweifeln, so heißt es innerhalb der Partei, wenn die demokratische Verwaltung erst einmal ausgehebelt ist. Um die Stimmung zu heben, weisen die Berufsrepublikaner auf Romneys künftige Befugnis als Präsident hin, Angehörige des Obersten Gerichtes (mit der Bewilligung des Senats) zu ernennen. Im Gegensatz zu Obama, der nur Linke durchwinkt, kann man sich getrost darauf verlassen, daß Romney bei seinen Ernennungen zum Richterstand ausschließlich „strengen Konstitutionalisten“ den Vorzug geben wird.

Obamas linker Populismus zieht

Darauf bezieht sich das Etikett von Romney als einem ausgesprochen „konservativen“ Kandidaten. Einen harten Wahlkampf wird es bei ihm ohnehin nicht geben. Der Herausforderer zeigt keine Dynamik, wie unvernünftig der Amtsinhaber auch nach links treiben mag und wie stark die Wirtschaft hinkt. Der hartgesottene linke, halbschwarze Präsident genießt eine erstaunliche Achtung. Trotz der steten Arbeitslosigkeit, die irgendwo zwischen acht und neun Prozent dahin dümpelt, und der schon auf mehr als 17 Billionen US-Dollar gekletterten Staatsschulden erfreut sich Obama einer weitgehenden persönlichen Beliebtheit. Ebenso vorteilhaft waren seine neuen schmeichelhaften Vorstöße gegenüber der ideologischen Basis. So nötigt Obama katholische und evangelische Spitäler und Lernanstalten, den Angestellten die Erlaubnis für Abtreibungen zu geben und sie mit Empfängnisverhütungsmitteln zu versorgen. Trotz der erhitzten Einwände der katholischen Geistlichen beharrte Obama unbeirrt auf seinem bedenkenlosen Kurs, und zwar bislang erfolgreich.
Mit weiteren medienwirksamen Gesten rundet er seinen Werbefeldzug ab. Erst kommt die Amnestierung von beinahe einer Million der unter 30-jährigen in den USA befindlichen Illegalen, dazu die Verlautbarung, daß er nichts tun würde, um dem von den Republikanern beanstandeten Wahlbetrug vorzubeugen, und daß er sich gegen ein in vielen Bundesstaaten verabschiedetes Gesetz gegen die unerlaubten Einwanderer stellen werde. Zuletzt geht er daran, der Unterschicht Zuwendungen, einschließlich Lebensmittelmarken, zukommen zu lassen. Wenn schon seine Stimmanreize nicht gerade zimperlich gewählt sind, agiert Obama mit einer an Süffisanz grenzenden Zuversicht. Obwohl die befragten amerikanischen Staatsbürger seinen Maßnahmen mehrheitlich nicht zustimmen, schaden die Schachzüge Obama keineswegs. Er steht in Umfragen bei über 50 Prozent Beliebtheit und ist auf dem Sprung, alle dicht bevölkerten Bundesstaaten bei der Wahl im November wieder zu gewinnen. Den Umfragen zufolge lag er im letzten Jahr mit den führenden republikanischen Kandidaten (inklusive Ron Paul) Kopf an Kopf. Mit jedem Monat, der vergeht, erweitert sich sein Vorsprung dem ungeschickten Romney gegenüber.
Als letzten Coup griff Obama Romney als unfähigen Manager an, der seine Equity Gesellschaft, Bains Capital, in den Ruin führe. Demnach setzte Romney seine Angestellten wahllos ab und lief den Folgen seiner Mißwirtschaft davon, indem er sein Amt niederlegte, bevor das Unternehmen Bankrott ging. Obwohl die Zusammenhänge falsch dargestellt sind und Obama keinen stichhaltigen Beweis für seine Vorwürfe bringen kann, druckste Romney herum, anstatt sein Geschäftsgebaren mit der nötigen Schlüssigkeit zu verteidigen. Obama gelang es mit dem Thema, die Debatte von seinem eigenen Versagen auf eine fingierte Anklage gegen seinen Konkurrenten zu verlagern. Das konnte nur gelingen, weil Romney die Auseinandersetzung zu sehr scheut, um seiner Aufgabe gewachsen zu sein.

Wahlbetrug von Seiten der Linken

Alles hängt jetzt nur von der Frage ab, ob Romney und seine unsicheren Ratgeber ein Zaubermittel finden, um den erlahmenden Wahlkampf noch zu beleben. Was kann Romney tun, um aus seiner drohenden Niederlage einen höchst unwahrscheinlichen Sieg zu machen? Den Ausweg könnte ein Vorgehen liefern, das bei Romney und anderen Vertretern der Mitte wenig Zustimmung weckt. In den Bundesstaaten, wo die zwei Parteien ungefähr Gleichstand haben, entsteht überall der Drang, eine Kontrolle bei der Stimmenabgabe vorzuschreiben. Die Forderung geht vorwiegend von den Republikanern aus. Überall, wo es der Partei gelang, Gouverneursposten zu besetzen und die Mehrheit der Abgeordneten zu stellen, wird der Plan vorangetrieben.
Ungeachtet der Absicht der Schwarzen- und Latino-Lobbys, solche Maßnahmen als verfassungswidrig zu verhindern, hat sie das Oberste Gericht im Jahr 2002 für verfassungskonform erklärt. Das Bestreben der Minderheiten und der derzeitigen demokratischen Regierung, sie als diskriminierend in ihrer Wirkung aufzuheben, erreicht sein Ziel nur vorübergehend in den Südstaaten, die unter einer besonderen Regelung stehen. Seit dem neunzehnten Jahrhundert wurde den Schwarzen im Süden örtlich das Stimmrecht verweigert. Ein im Jahre 1965 erlassenes Gesetz, das die Republikaner zwar überwiegend unterstützten, aber immer wieder erneuern wollten, verbietet den betroffenen Bezirken, das Wahlrecht, wie minimal auch immer, zu verändern. Wie Obamas Justizministerium zu seinem Unglück konstatiert, klappt die hinhaltende Taktik nur bei einer Minderheit von Gebieten, die darauf setzen, sogenannte Wählerausweisgesetze einzuführen. Im Bundesstaat Pennsylvania, wo ich wohnhaft bin, erläßt der Gouverneur diese Woche ein solches Gesetz, das ab sofort gelten wird.
Allem Anschein nach dient das Gesetz als notdürftiges Mittel gegen falsche Wahlergebnisse, ein Übel, das hierzulande vorwiegend mit falschen Stimmangaben in den Bezirken in Verbindung steht. In Philadelphia  uferten die Unregelmäβigkeiten bei den Abstimmungen 2008 in der Weise aus, daß schwarze Banden die Wahllokale in der Stadtmitte besetzten und die als Republikaner verdächtigten Wähler von den Urnen abschreckten. Im Jahr 2006 wurden Busladungen der in Philadelphia ansässigen Schwarzen nach dem angrenzenden Bundesstaat New Jersey befördert, um dem linken demokratischen Gouverneur, der im letzten Jahr der Veruntreuung überführt worden war, zum Sieg zu verhelfen. Der Justizminister, der Obama mit vorauseilendem Gehorsam dient, lehnt die wiederholten Ersuche ab, in diesen und ähnlichen Vorfällen zu ermitteln. Die Forderung der Republikaner, Gesetze in Kraft treten zu lassen, die Wählerausweise, inklusive Führerscheine, voraussetzen, hat bereits zu einer starken Resonanz geführt. Auch eine Mehrheit der wahlberechtigten Demokraten stimmt diesen Forderungen zu. Nicht nur die Republikaner bemerken das Ausmaß des Abstimmungsbetruges.

Amerikaner denken wie Europäer

Insgesamt hat die demokratische Führung allen Grund, darum ernstlich besorgt zu sein. Die Wählerausweisgesetze können darauf hinwirken, Hundertausenden von ausnahmslos demokratischen und im allgemeinen nach links tendierenden Wählern in jedem Bundesstaat die Möglichkeit der Abstimmung zu entziehen. Ob die Betroffenen, die aus unwissenden Minderheiten, planlos treibenden Jugendlichen und Tattergreisen bestehen, eigentlich stimmberechtigt sein sollten, ist kaum zu beantworten. Sie haben darauf keinen sittlichen Anspruch. Überdies wäre es unberechtigt, ihnen den Betrug nachzusehen, weil man Angst hat, die linken Medien und schwarze Scharfmacher zu provozieren. Schließlich haben die Demokraten reichlich Zeit, dafür zu sorgen, daß Nichtattestierte vorschriftsmäßig eingeschrieben werden. Anstatt sich aber vernünftig zu verhalten, klagen sie die Opposition als Rassisten an und verschwenden dabei sinnlos Zeit.
Auf den Ausgang der Präsidentschaftswahl kann der Ausschluß der nicht für wahlberechtigt Erklärten eine einschneidende Wirkung haben. Abzüglich ihrer Stimmen würden Obama und seine Partei ihren Vorrang in etlichen entscheidenden Bundesstaaten verlieren. Von diesem Standpunkt aus ist der Protest verständlich. In meinem Bundesstaat besitzt Obama den Umfragen gemäß einen Vorsprung von 10 Punkten, und in diesem Verwaltungsgebiet hat ein republikanischer Präsidentschaftskandidat seit dem zweiten Wahlkampf von Ronald Reagan 1984 nie eine Mehrheit der Stimmen gewonnen.
Im benachbarten westlichen Bundesstaat Ohio stürmt Obama mit den gleichen zügigen Schritten voran. Sobald aber das Wählerausweisgesetz angewandt wird, kann dieser Vorteil ganz und gar verloren gehen.
Trotz der denkbaren Auswirkung des Gesetzes könnte für die Demokraten langfristig alles gut ausgehen. Das Land schwenkt sozialpolitisch nach links. Wenn die Umfrageergebnisse verläßlich sind, kommen die meisten Amerikaner  allmählich zu einem antitraditionellen Konsens über Schwulenehen und Antidiskrimierungsmaβnahmen. Von den Westeuropäern lassen sie sich bezüglich ihrer Werte immer weniger unterscheiden. So bestimmt es der Zeitgeist, auch wenn viele Amerikaner ihrer einzigartigen (tatsächlich wechselnden) amerikanischen Staatsform begrifflich oder gefühlsmäβig noch nachhängen.

Unbegabt und ohne Überzeugung

Unsere Journalisten aus der linken Ecke verpassen Romney das Etikett „too conservative“. Wegen seiner Verbohrtheit würden die Wähler den ehemaligen Manager und leibhaftigen Kapitalisten demnach abblitzen lassen. Doch das ist zu spekulativ. Wie sein Vorgänger John McCain, dessen Wahlkampf gegen Obama kümmerlich scheiterte, ist Romney mit keinem bestimmten rechten Flügel zur Deckung zu bringen. Wie McCain ist Romney ein unbegabter Parteiführer, der eine relativ konservative Basis für sich einnehmen will, ohne seinen Parteifreunden zu dienen. Er rechnet darauf, daß die Rechte mitmachen wird, auch wenn er ihre Forderungen unbekümmert ignoriert. Wie McCain seinen linksradikalen Gegner geschont hat, zaudert Romney, sich offen gegen Obamas antiweiße, den Illegalen schmeichelnde und antichristliche Politik zu wenden. Er verschanzt sich hinter seinen altbekannten Klagen, daß Obama nicht genug getan hat, um die Wirtschaft anzukurbeln. Für die wenig standfesten Republikaner bildet das eine naheliegende Synthese mit der hohl klingenden Ankündigung, „Obamacare“ abzuschaffen.
Im Juli lieferte Romney ein politisches Schauspiel, als er auf einer Versammlung der schwarzen Dachorganisation NAACP eine versöhnende Ansprache hielt. Zu seinem Leidwesen antworteten ihm die Zuhörer mit Buhrufen, als er Obama eine gescheiterte Wirtschaftspolitik unterstellte. Ohne sich von seinem Rausch ernüchtern zu lassen, betrachtete Romney das Malheur als einen gelungenen Ansatz, bei den Minderheitsvertretern für sich zu werben. Zwei Tage darauf war es in aller Munde, daß Romney eine schwarze Dame als Kandidatin für die Vizepräsidentenschaft umwirbt.  Condoleezza Rice wäre allerdings auch ein deutliches Signal für die Wiederaufnahme der neokonservativen Außenpolitik von George W. Bush gewesen, unter dem sie Außenministerin war. Nachdem Rice sein Angebot mehrfach zurückwies, fiel Romneys Wahl auf den 42-jährigen Abgeordneten aus dem Bundesstatt Wisconsin Paul Ryan. Dieser hat durchaus das Potenzial, Romneys Glanzlosigkeit ausgleichen zu können. Seine Kandidatur hat die Chancen der Republikaner gegenüber der verzweifelten Lage, in die sie vor drei Monaten gerieten, weitaus verbessert. Im Gegensatz zu Romney erweist sich sein Mitstreiter als passabel  streitlustig. Er zaudert nicht, eine kantige Oppositionspolitik zu vertreten und zur Offensive überzugehen. Dennoch richtet die republikanische Mannschaft die Aufmerksamkeit auf die Frage der Krankenkasse und die Staatsverschuldung, ohne heißere Themen wie die dauernde Einwanderung aus der Dritten Welt anzurühren. Hinzu kommt, daß Romney bei der Ernennung des fotogenen bekennenden Katholiken Ryan wohl dem Druck des konservativen Flügels der Partei nachgegeben hat. Mit diesem personellen Signal wollten Romneys Berater die bodenständige Wählerbasis einbinden.

Spielball der Neokonservativen

Dennoch dürfte Romney, wie es der konservative Reporter Mark Levin ausdrückte, ein Kandidat bleiben, der über seine eigenen Beine stolpern wird. Sein Mangel an Rückgrat zeigte sich, als er dem Entschluß der Neokonservativen zustimmte, Ron Paul einen bejubelten Auftritt auf dem republikanischen Konvent zu verweigern. Dadurch provozierte er die libertäre Rechte zu einem Zeitpunkt, als seine Kandidatur bereits feststand.
Das Letzte, das man diesem Kandidaten zutrauen würde, ist der Mut, seine Sache mit aller Entschlossenheit anzupacken. Romney ist deshalb politisch so weit gekommen, weil er niemandem zu sehr in die Quere kommt und die Leute nicht verärgert. So naht die Stunde der Wahlentscheidung heran und damit die Gelegenheit, zwischen zwei gleichermaßen abstoßenden Bewerbern zu entscheiden.

 
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