Auf einem der sieben Hügel der „Ewigen Stadt“ liegt das kleine Restaurant „Angelino”. Betrieben wird es von Gianluca Iannone, einem am ganzen Körper tätowierten, kräftigen, vollbärtigen und vierzig Jahre zählenden Urgestein. Am Hals trägt er ein Tattoo mit dem dem römischen Dialekt entlehnten Wahlspruch der faschistischen Schwarzhemden: „Me ne frego“ – „Es ist mir gleich“. Sein bis ins Jahr 1899 zurückgehender Familienbetrieb bietet vor allem einheimische Spezialitäten an, bei Touristen und Einheimischen erfreut es sich großer Beliebtheit. Zahlreiche Prominente waren in dem Restaurant Ianonnes, eines der wichtigsten Köpfe der italienischen Rechten, zu Gast. Iannone, geboren 1973 und Gründer von CasaPound, ist ein Multitalent: „Einen Vulkan an Ideen und Initiativen“ sowie „Kommunikations- und Marketing-Besessenen“ nennt ihn der Publizist Nicola Rao.1
Mit 14 Jahren trat Iannone der „Fronte della Gioventù“ (Jugendfront), der Nachwuchsorganisation der inzwischen aufgelösten neofaschistischen Partei „Movimento Sociale Italiano – Destra Nazionale“ (Bewegung soziales Italien – Nationale Rechte, MSI) bei. Seitdem arbeitete er abwechselnd als Sänger, Betreiber eines Musiklabels, Jugendpolitiker und Restaurantchef. Als Journalist schrieb er für große italienische Zeitungen über Kultur sowie Innen- und Außenpolitik. Dementsprechend professionell sind seine öffentlichen Auftritte: Er und CasaPound irritieren politische Gegner durch gelegentliche ideologische Seitensprünge. Die von den Medien gern „Faschisten des dritten Jahrtausend“ genannten Aktivisten organisierten unter Iannone Konferenzen mit der örtlichen chinesischen Gemeinde und Vertretern der ehemaligen, linksterroristischen „Roten Brigaden“.
Im Angelino zeigt sich Iannone gegenüber jedem Gast höflich und aufgeschlossen. Er begrüßt sie persönlich, mischt sich unter das Personal und spült auch mal das Geschirr.
Beliebt ist Iannone aber bei der Jugend vor allem als Sänger und Kopf der Rockformation „ZetaZeroAlfa“. Ihre Musik beschreibt vielleicht am besten das Lebensgefühl der Männer und Frauen hinter CasaPound. Zum näheren Umfeld der Organisation zählen heute circa 3.000 militanti in Italien, die meisten der jungen Aktivisten sind unter 30, darunter auch viele Frauen. Wenn Ianonne bei Konzerten mit Bassstimme in Sakko und Krawatte Titel wie „Verzweifelte Liebe“, „Diktatur des Lächelns“ und „Nicht mehr wählen“ in das Mikrofon raunt, springt das Publikum elektrisiert, Schulter an Schulter, gegeneinander. Bei dem Lied „Gürteltanz“ schlagen sich die Besucher mit Gürteln auf den nackten Oberkörper. ZetaZeroAlfa gilt als Hausband von CasaPound. Die Musik, die erst nur hintergründig politische Themen bediente, spielte von Anfang an eine herausragende Rolle bei der Identitätsbildung: „ZetaZeroAlfa begann als Lebensstil, darüber hinaus als Musikprojekt. Wir haben einen Stil gefunden, um uns in der Menge anhand des gleichen Hemds zu erkennen. (...) Das erste T-Shirt, das wir bedruckt haben, hatte die Aufschrift ‚Lach nur, irgendjemand beobachtet Dich‘„, erzählt Iannone.2
Um ZetaZeroAlfa herum sammelten sich Ende der 1990er Jahre die ersten militanti, wie die Organisation ihre Aktivisten gern nennt. Zu den mythischen Orten der Bewegung gehört das „Cutty Sark“, laut Eigenbezeichnung „der meistgehaßte Pub Italiens“ und benannt nach einem fiktiven Weltraumpiraten. Hier entstand im kleinen Kreis die Idee einer Hausbesetzung, die Stammkundschaft hob sich von den Skinheads der neofaschistischen Parteien durch ihren popkulturellen, teilweise an linken Modechiffren orientierten Habitus ab. Diese Mischung aus faschistischer und futuristischer Ästhetik, virilem Aktivismus, popkultureller Verspieltheit und ideologischer Strenge macht bis heute das Projekt CasaPound aus. Zu den kulturellen Referenzen zählen neben dem Namensgeber Ezra Pound, dem US-amerikanischen Dichter, Mussolini-Anhänger und Kritiker des Zinswuchers auch der Dichter des italienischen Ästhetizismus, Gabrielle D’Annunzio, der russische Futurist und sowjetische Staatsdichter Wladimir Majakowski sowie die in Italien beliebte Seemann- und Abenteurerfigur Corto Maltese.
Als zweiter mythischer Ort der Aktivisten gilt die römische Piazza Navona: Hier stieß am 29. Oktober 2008 die Schüler- und Studentenorganisation von CasaPound, der „Blocco Studentesco“ mit linken Studenten und Polizei bei einer Demonstration vor dem Senat der Republik zusammen. Es gab Verletzte und zahlreiche Festnahmen. Während dieser Tage zeigte sich die ganze Dynamik und Aggression der jungen CasaPoundisten. Domenico Di Tullio, Anwalt von CasaPound, stilisiert die Szenerie nachträglich in seinem Roman der Bewegung, „Nessun Dolore“ (Kein Schmerz). Das Buch erschien 2010 im renommierten Verlagshaus Rizzoli. „Der Zug des Blocco Studentesco zieht auf den Piazza Navona, ihm eilt ein weißer, in voller Lautstärke Musik spielender Wagen voran. (...) Die Tapferen und die, die über Dreißig waren, versprachen sich eine Schlacht. Sie beschimpften die jüngeren, nannten sie Schwächlinge, warfen ihnen ihre Unfähigkeit vor, den ‚Feind‘ nicht zurückdrängen zu können.“3 Auch wenn die italienischen Medien die Teilnahme CasaPounds an den Demonstrationen gegen die Bildungspolitik weniger begeistert schilderten, konnte sich die Organisation doch als herausragender Vertreter einer dezidiert nicht-linken Opposition präsentieren.
Über 70 Jugendzentren zwischen Sizilien und Turin, drei Wohnhäuser für italienische Familien, zahlreiche Kneipen, Buchläden, zwei Zeitschriften, eine Umweltorganisation und Sportvereine zählen inzwischen zum Umfeld von CasaPound. Heute scheint Iannone selbst nicht recht glauben zu können, daß aus einer kleinen, eher bescheidenen Musikgemeinde eine Bewegung wie CasaPound entstand. Im Nachwort zum inoffiziellen, 2011 erschienenen Manifest der CasaPoundisten, Riprendersi tutto (Sich alles zurückholen), erinnert er sich. „Es ist einige Zeit vergangen, seit wir die Nächte damit verbracht haben, Kleber mit der Aufschrift ZETAZEROALFA an den unmöglichsten Orten zu befestigen (in einer Nacht sollen an die 15.000 Aufkleber in Rom verteilt worden sein, J. S.). (...) Noch immer überrascht es, daß um eine Rockgruppe herum eine Nationalbewegung entstand, die in allen Bereichen des täglichen Lebens agiert. Im Sport, in der Gemeinschaftsarbeit, in der Kultur, in der Politik.“
Von Beginn an setzten die militanti auf eine Waffe, die in der italienischen Rechten zuvor oft skeptisch betrachtet wurde: Hausbesetzungen galten als ein Instrument der außerparlamentarischen Linken. Erste Versuch gab es bereits 1987 in Rom, unter anderem seitens Mitgliedern des MSI. Innerhalb weniger Stunden stürmte die Polizei jedoch die zwei Gebäude. Erstmals gelang es unter anderem Ianonne, unter weitestgehendem Gewaltverzicht, an der römischen Peripherie ein Haus länger zu behaupten. Dessen Name, „CasaMontag“, orientierte sich an dem Protagonisten von Ray Bradburys dystopischen Roman Fahrenheit 451. Diesen Erfolg ermöglichte, neben der Wahl einer unkonventionellen, neuen Ikonographie, auch eine stärkere Disziplinierung innerhalb der Hausbesetzer. Der Kommunalverwaltung kamen die Besetzungen der zumeist staatlichen Gebäude zum Teil entgegen, wenn sie zu Wohnzwecken genutzt wurden. Ianonne sicherte sich damit einen kleinen Sympathiebonus unter den Römern: Mit seinem Vorstoß entwickelten sich die beiden Modelle der „Occupazioni Non Conformi“ (Nichtkonforme Besetzungen) und der „Occupazioni a Scopo Abitativo“ (Besetzungen zu Wohnzwecken). Erstere dienen als Veranstaltungsort für Konzerte sowie politische, soziale und kulturelle Aktivitäten, zweite als Unterkunft für italienische Familien. Die vorrangige Nutzung besetzter Häuser zu familiären Wohnzwecken unterschied CasaPound von bisherigen linken und rechten Besetzungen.
In einer Zeit, in der in Rom Mieten für viele Familien ins Unbezahlbare steigen, wollten die Aktivisten mit diesen Okkupationen vor allem ein Zeichen gegen den Mietwucher setzen. „Geboren wurde CasaPound ursprünglich als Bewegung von Hausbesetzern, nicht als politische Bewegung. Wir sind in erster Linie aufgrund der großen Wohnungsnot in Rom entstanden“, erzählt Adriano Scianca. Auch er ist fast am ganzen Körper tätowiert, tritt höflich und zurückhaltend auf. Er ist Kulturreferent einer der ideologischen Vordenker von CasaPound.
Die offizielle Geburtsstunde der Organisation schlug am 27. Dezember 2003. Damals entschloß sich eine kleine Gruppe von Aktivisten aus dem Cutty Sark, das leerstehende Mietshaus in der Via Napoleone III, Nr. 8, zu besetzen. Das Gebäude unweit des römischen Hauptbahnhofs Termini befand sich im Besitz der Provinzverwaltung. Heute bildet es den mythischen Kern der CasaPoundisten. 2010 lebten insgesamt 70 Personen, darunter 23 Familien mit 12 Kindern in dem Haus. Oft gehören sie zum Umfeld der „Faschisten des dritten Jahrtausends“. Mitunter haben sie auch einen unpolitischen Hintergrund und befanden sich zuvor auf Wohnungssuche. Die Räume teilen sie sich mit den militanti. Einer der Aktivisten von CasaPound ist Sébastien, der aus Kanada kommt. Er studierte in Paris, lange Zeit diente Sébastien auch bei der Armee. Nachdem CasaPound entstand, entschloß sich der Katholik, das Projekt in Rom zu unterstützen. Heute ist Sébastien deren Auslandsreferent: Er organisiert Interviews und Übernachtungen, kümmert sich um die Gäste, führt sie durch das Haus und erklärt in französisch eingefärbtem Englisch die Räume. Er nimmt sich für jeden Besucher ausführlich Zeit, im Cutty Sark stellt er ihnen den einen oder anderen römischen Aktivisten vor.
Zu zeigen gibt es viel: Vor Ort befinden sich unter anderem die kleine Station des „Radio Bandiera Nera“ (Radio Schwarze Fahne), ein Proberaum für Musikgruppen, Sportgeräte, ein Zimmer für Pressekonferenzen und eine Dachterrasse, die im Sommer als Bar dient. Ein spartanisch eingerichtetes Hostel beherbergt unter anderem regelmäßig Besucher aus Rußland, Spanien, Frankreich und Deutschland. Denn das Projekt stößt in der europäischen und internationalen Rechten auf reges Interesse. Im Aufzug finden sich Aufkleber von deutschen Burschenschaftern, spanischen Nationalrevolutionären und argentinischen Peronisten. Daß solch ein Projekt organisatorischer Strenge und Zuverlässigkeit bedarf, wissen die militanti nur zu gut: Die Einlaßkontrolle ist durchgängig an allen Tagen besetzt, nachts wird der Eingang verriegelt. Zu hoch ist die Gefahr eines gewaltsamen Eindringens der Polizei – die nächste Station befindet sich gerade einmal rund 500 Meter von der Via Napoleone III, Nr. 8, entfernt.
Auf den ersten Blick erscheint der Bezirk der „CasaPoundisti“, der Esquilin östlich von Termini, als ihr Territorium. Im Quartier befinden sich als weitere Anlaufpunkte neben dem Angelino der Buchladen „Testa di Ferro“ (Eisenkopf), ein Tattoladen, der Modeladen Badabing sowie eine Bar. Hinzu kommt die besetzte, verlassene U-Bahn-Station „Area 19“ am Stadtrand von Rom. Dort finden unter anderem Konzerte statt. Wahlplakate, Veranstaltungshinweise und Aufkleber sind an zahlreichen Ecken zu sehen. Trotzdem sind die militanti auf die enge Kooperation mit den zahlreichen chinesischen und schwarzafrikanischen Einwanderern angewiesen. Denn Italiener stellen im Viertel die Minderheit. Scianca, der aus dem umbrischen Städtchen Orvieto nach Rom kam, beschreibt die Lage als katastrophal: „Dieses Viertel sollte – gemäß den Ideen der linken Stadtverwaltung – das Versuchslabor für die multikulturellen Experimente in Rom werden, das Zeugnis dafür, daß die Koexistenz möglich sei. Stattdessen hat es sich in eine Hölle des Verfalls, der Kriminalität und Trostlosigkeit verwandelt.“ Die römische Stadtverwaltung hat die Kontrolle über das Viertel bereits verloren und greift nur ein, wenn der ökonomisch lukrative Tourismus bedroht sein könnte. Den Aktivisten fällt die Rolle eines lokalen Streitschlichters zu.
Die vermeintliche Hausmacht der CasaPoundisten kann freilich auch nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich in der unmittelbaren Umgebung der Großteil der besetzten Wohnhäuser in linker beziehungsweise antifaschistischer Hand befindet. Dort sind vor allem Einwanderer und sozial Bedürftige untergebracht. Kommunalpolitische Duldung ermöglicht ihnen weitestgehend Freizügigkeit, mitunter auch Drogenkonsum. Die Besetzer der Via Napoleone III, Nr. 8, setzen, trotz subkultureller Anleihen an die Linke, ganz andere Akzente: Waffen- und Rauschgiftbesitz sind verboten, der Einlaß ins Haus wird kontrolliert. Das Gebäude soll nicht allein eine politische Machtdemonstration, sondern auch ein Refugium für Aktivisten in wirtschaftlich unsicheren Zeiten sein. Darauf verweist auch das Wappentier CasaPounds: Eine Schildkröte mit ins Zentrum verweisenden Pfeilen, deren Form und Symbol nicht zufällig an das Castel del Monte des Staufferkaisers Friedrich II. in Apulien und zugleich die römische Marschformation Testudo erinnert. Das ästhetische und organisatorische Selbstverständnis gehen Hand in Hand: Geschlossene Form nach außen und hierarchische Eingliederung nach innen, Wehrhaftigkeit des Einzelnen und zentralistische Struktur der Unterorganisationen gegenüber der römischen Zentrale. Sébastien erklärt, die Schildkröte sei das passende Symbol für CasaPound, denn auch „sie trägt ihr Haus immer mit sich herum“.
Die metapolitische Idee gründe sich auf eben dieser Geschlossenheit und Zuverlässigkeit, die sie von anderen Projekten der Rechten unterscheide, erklärt Scianca: „CasaPound basiert auf militanter Zuverlässigkeit, Sinn für Hierarchie und klaren Ideen. (...) Es genügt, einen zuverlässigen Kern zu bilden. Der muß gewillt sein, für das Ideal alles zu geben.“4 Obwohl CasaPound in der Außendarstellung tendenziell einen pragmatischen Ansatz verfolgt und sich mit Einwanderern sowie politischen Gegnern unter Umständen an einen Tisch setzt, gibt es jedoch klare ideologische Grundlagen. „Wir wollen uns nicht distanzieren oder verstecken müssen”, erklärt Sébastien. Man stehe offen für die eigenen Traditionslinien, die unter anderem an die sozialrevolutionäre Ära des Faschismus anknüpfe. Das sorgt unter anderem in Südtirol für Zündstoff: Dort demonstrierte CasaPound unter dem Motto „Bozen ist Italien“, für den Erhalt des örtlichen faschistischen Siegesdenkmals. „Wir haben Probleme mit den politischen Gruppen, die den Hass anfeuern und antiitalienische Politik betreiben, die dicke Gehälter beziehen, die ihnen der italienische Staat erst ermöglicht hat. Und wir mögen ebenso wenig die italienischen Politiker, die aus kleingeistiger Kalkulation heraus Erpressungsversuche der Autonomie-Befürworter gegen Rom unterstützen.“ „Südtirol ist für uns italienischer Boden, in dem deutschsprachige Minderheiten leben“, erklärt Scianca, betont aber, daß die militanti ein zweisprachiges Transparent getragen hätten: „Ja zum Zusammenleben, nein zur Anmaßung.“
Mit anderen, neofaschistischen Parteien oder Initiativen arbeitet CasaPound selten zusammen – weniger aus Gründen einer notwendigen Distanzierung heraus, sondern weil deren Strategie und Selbstverständnis den „CasaPoundisti“ unbrauchbar erscheint.
„Der Faschismus ist eine Revolution gewesen, die einzige, die wir letztendlich in Italien hatten. So wie ich es sehe, repräsentierte er eine fortschrittliche soziale Idee, eine Blüte der Kunst, der Rechtschaffenheit und der Ironie. Der Faschismus schuf, während die, die sich heute Neofaschisten nennen, immer das Bedürfnis hatten, sich im eigenen Ghetto abzuschließen und zu verteidigen. Wir aber wollen schaffen“, erklärte Iannone 2012 in einem Interview mit der linksliberalen Wochenzeitung l´Espresso unter dem Titel „CasaPound verwirrt alle“.
Zu den ersten konkreten politischen Initiativen der Organisation gehörte der „Mutuo Sociale“, ein Sozialkredit für Familien zum Erwerb des eigenen Hauses. Die Idee hinter dieser Gesetzesinitiative findet sich bereits im „Manifest von Verona“ der „Partito Fascista Repubblicano“ (Republikanische Faschistische Partei) von 1943. CasaPound entwickelte diesen Ansatz weiter: Gemäß dem Mutuo Sociale sollen regionale Institutionen mit öffentlichen Geldern Viertel und Häuser errichten, die wiederum zum Selbstkostenpreis an Familien ohne Immobilienbesitz verkauft werden. Der Staat stelle ihnen dazu einen zinsfreien Kredit zur Verfügung. Der Vorstoß stieß bei Kommunal- und Regionalverwaltungen auf Interesse, wurde aber bisher als Gesetz noch nicht realisiert. Den Schwerpunkt der Arbeit legt die Organisation, im Gegensatz zu den anderen Organisationen und Parteien der italienischen Rechten, auf die praktische Sozialpolitik vor Ort. Dazu gehören Projekte wie die „Gruppe zur sozialen medizinischen Intervention CasaPound Italia“ (GR. I. M. E. S.), die unter anderem öffentlich Blutspenden sammelt und kostenlose Online-Sprechstunden anbietet. Eine andere Initiative namens „Zeit, Mutter zu sein“ setzt sich für ein Gesetz zur staatlich mitfinanzierten Vollbezahlung von Eltern ein, die ihre Kinder daheim erziehen wollen. International tätig ist die italienisch-französische, von CasaPound unterstützte, ethnopluralistisch ausgerichtete Organisation „Popolus Onli“, deren Motto „Identität – Tradition – Solidarität“ lautet. Die Aktivisten, darunter Ianonne selbst, unterstützen in Myanmar die verfolgte Minderheit der Karen, palästinensische Flüchtlinge sowie die Buren in Südafrika.
Der schwarze Bildungskanon: Futurismus, Konservative Revolution, Popliteratur
Eine enge Kooperation mit Frankreich findet auch auf ideologischer Ebene statt: CasaPound orientiert sich an den identitären Konzepten der „Nouvelle Droite“ beziehungsweise Alain de Benoist. Zu den deutschen, metapolitischen Inspirationsquellen zählen neben Ernst Jünger auch Martin Heidegger, Alfred Baeumler und Friedrich Nietzsche. In Riprendersi tutto listet Scianca eine Reihe internationaler Titel auf, die zum Bildungskanon der CasaPoundisten gehörten: Darunter Carl von Clausewitz´ Vom Kriege, Georges Orwells 1984, Jüngers Arbeiter, Stefan Georges Stern des Bundes, Nietzsches Also sprach Zarathustra, Jean Raspails Das Heerlager der Heiligen, Chuck Palahniuks Fight Club und Charles Bukowskis Pulp: Ausgeträumt.5 Der Kanon beschränkt sich nicht allein auf rechte Klassiker, zu seinen Vordenkern zählt CasaPound ebenso den afghanischen Nationalhelden Ahmad Schah Massoud, Friedrich Hölderlin oder den indianischen Medizinmann und katholischen Katecheten Black Elk. Aktivisten seien zudem verpflichtet, eine bestimmte Menge von Büchern aus dem Kanon selbst zu studieren, erklärt Scianca.
Das wichtigste Thema CasaPounds gibt der Namensgeber, Ezra Pound, vor. In den Pisaner Gesängen von 1948, die er zum Teil in US-amerikanischer Haft verfaßte, bezeichnet Pound „usura“, den Wucher, als das Elend einer kapitalistischen Zinswirtschaft. „Usura“ sieht auch Scianca als zentrales Problem einer globalisierten Welt, in der die Souveränität der Nationalstaaten schwindet: „Das Wort ‚Wucher‘ passt nicht in eine vitale, lebendige Welt. Der ‚Wucher‘ kennt nur die Zerstörung, den Zerfall, die Verwüstung. Er ist vielleicht das einzige, was ‚absolut böse‘ ist. Der Wucher, in jeder seiner Formen, ist der Hauptfeind von CasaPound Italia.“6 Freilich wird gern verschwiegen, daß Pound die Zinskritik in den 1940er Jahren bei seinen Ansprachen im faschistischen Radio Roma auch stark antisemitisch färbte. Medial steht CasaPound auch wegen der „leggi razziali“, den 1938 auf deutschen Druck in Italien eingeführten Rassegesetzen, unter Kritik.
Besonders regelmäßig mit diesem Vorwurf konfrontiert wird Simone di Stefano, der Vizepräsident von CasaPound. Di Stefano gehört zu den Gründern der Organisation. Er kandidierte 2013 jeweils bei den römischen Kommunal- und den italienischen Präsidentschaftswahlen für die Organisation. Zu den leggi razziali meint er: „Die vom deutschen Nationalsozialismus motivierten italienischen Rassengesetze von 1938 widersprechen der Idee des Faschismus. Der Faschismus ist nicht als ausschließende, sondern als die Gesamtheit des Volkes integrierende Idee geboren worden.“7 Circa 200 Juden haben sich am Marsch auf Rom beteiligt, bis 1938 war der jüdischstämmige Faschist Guido Jung Italiens Finanzminister. Doch Di Stefan interessiert sich im Kern nicht für solche ideologisierten Fragen: Er wolle für die Leute auf der Straße da sein. Auch Immigration sei nicht allein aus kultureller Perspektive problematisch, sondern weil sie – in ihrer massiven Form – dazu beitrage, das Einkommen der Bevölkerung zu drücken. Masseneinwanderung stelle einen Aspekt einer totalen Globalisierung dar, die Einwanderer nichts anderes als importierte Lohnsklaven. Im Fernsehsender Pomeriggio 5 erklärte Di Stefano: „Wir sind gegen die multikulturelle Gesellschaft, aber wir sind keine Rassisten, wir haben Mitglieder, die eingewanderte Italiener der zweiten Generation, sind und wir hatten auch einen Kongolesen in unseren Reihen.“8 Erneute öffentliche Vorwürfe gegen CasaPound gab es im Dezember 2011, als der Rechtsextremist Gianluca Casseri in Florenz zwei senegalesische Straßenhändler erschoss. Er soll laut Medienberichten Mitglied von CasaPound gewesen sein. Di Stefano erklärte, es habe sich bei Casseri lediglich um einen Sympathisanten und wahnsinnigen Einzeltäter gehandelt. Leider würde der Staat den Fall nicht weiter aufklären wollen.
Politisch aktiv ist Di Stefano seit seinem 16. Lebensjahr, ähnlich wie Iannone war er bereits in seiner Jugend beim MSI. Derer Biographie entspricht vieler der Aktivisten von CasaPound. Wie die meisten ehemaligen MSI-Mitglieder verließ Simone die Partei nach der sogenannten „Wende von Fiuggi“ 1994. Auf der Konferenz in der bei Rom gelegenen Kleinstadt erklärte der damalige Vorsitzende, Gianfranco Fini, die Kehrtwende vom Postfaschismus zum Nationalkonservatismus, die Partei wurde in „Alleanza Nazionale“ (Nationale Allianz) umbenannt. Einen neuen parteipolitischen Vorstoß unternahm die CasaPound-Führung, indem sich die Organisation 2006 dem MSI-Nachfolger „Fiamma Tricolore“ anschloß. Dieser und weitere Versuche, einzelne kommunale Kandidaten auch auf der rechtsliberalen Berlusconi-Partei „Popolo della Libertà“ zu positionieren, scheiterten. 2013 nahm CasaPound zum ersten Mal mit einer eigenen Liste an den Kommunal- und Präsidentschaftswahlen teil, das beste Ergebnis wurde in Latium mit 0,79 Prozent erzielt. Im parlamentarischen Bereich konnte die Organisation bisher keine Erfolge erzielen. CasaPounds Stärke liegt in ihrer Jugend.
1 Lichtmesz, Martin: Der schwarze Herbergsvater. Junge Freiheit, 3. September 2010, 36/10.
2 Di Tullio, Domenico: Centri sociali di destra. Occupazione e culture non conformi. Castelvecci, Roma, 2006, S. 120. Zitiert nach Di Nunzio, Daniele / Toscano, Emanuele: Dentro e Fuori CasaPound. Capire il fascismo del terzo millennio. Armando Ditore, 2011 (Di Nunzio / Toscano), S. 70.
3 Ders.: Nessun dolore. Rizzoli romanzo, 2010 (Di Tullio), S. 211.
4 Blaue Narzisse.de: Im Gespräch: Casa Pound, 6. November 2012. www.blauenarzisse.de/index.php/gesichtet/item/3584, aufgerufen am 10. August 2013.
5 Scianca, Adriano: Riprendersi tutto. Le parole di CasaPound: 40 concetti per una rivoluzione in atto. Società Editrice Barbarossa, Cusano Milanino, 2011, S. 375f.
6 Ebd., S. 344.
7 Schüller, Johannes: Die „Faschisten des dritten Jahrtausends“: Rendezvous mit Casa Pound in Sizilien. BlaueNarzisse.de, 26. März 2012, www.blauenarzisse.de/index.php/gesichtet/item/3206, aufgerufen am 11. August 2013.
8 Ebd.