In den letzten Monaten putschte eine bürgerliche Gruppierung in den USA gegen das herrschende Zweiparteiensystem, sie firmiert vorläufig als Tea-Party-Bewegung. Der Name bezieht sich auf jene Bürger der 1770er Jahre, die gegen die von den Briten auf Tee und andere Konsumgüter verhängten Abgaben aufbegehrt hatten. Die aufmüpfigen Kolonisten bestiegen als Indianer verkleidet die mit Tee gefüllten britischen Schiffe im Bostoner Hafen und warfen die Ladung in hohem Bogen über Bord.
Von dieser Provokation führte der Weg zu dem zwei Jahre später entbrannten amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und von da zur Aufstellung einer verfassungsmäßigen Regierung für die dreizehn Kolonien, die gewisse grundlegende Freiheiten verbürgen sollte. Nachdem bei der konservativen Basis der Republikanischen Partei heute der starke Eindruck entsteht, daß die bestehende Regierung von ihrer Aufgabe, Freiheits- und insbesondere Eigentumsrechte sicher zu schützen, immer mehr abweicht, wird offenbar versucht, der politischen Klasse beider Bundesparteien eine scharfe Lektion zu erteilen. Den Bürgern geht es gegen den Strich, die ausufernden Sozialprogramme und bedenkenlosen Zahlungen der Regierung Obama weiter mittragen zu müssen.
Der Bürgerprotest beginnt bereits Schule zu machen. So befaßte sich die „Junge Freiheit“ vom 16. April 2010 mit den amerikanischen „Bürgern in Wut“. Ihren anscheinend entmündigten deutschen Lesern hält die Wochenzeitung dieses glänzende Beispiel von Widerstand vor und bringt ein eingehendes Gespräch mit der namhaften Tea-Party-Organisatorin Amy Kremer. Es wird der Eindruck vermittelt, daß die Befragte, eine 39-jährige ehemalige Stewardeß, Hinweise geben könne, wie eine gebieterische Bürokratie durch eine Graswurzelrevolution zu bezwingen sei. Die sich zum Widerstand formierenden Aktivisten bieten den Staatsbeamten Paroli und sind anscheinend nahe daran, die Regierung einfach zu „überrollen“.
Nach einer im April angestellten Umfrage der „New York Times“ erweisen sich die meisten Demonstranten als langjährige Anhänger des ehemaligen Präsidenten George Bush. Entsprechend erscheint ihnen die von Bush ererbte Wohlfahrtsregierung nicht so schlimm. Wenn auch Obamas Wirtschaftspolitik bei ihnen nicht gut ankommt, sind sie doch felsenfest überzeugt von staatlichen Leistungen, vor allem von der Sozialversicherung und der Gesundheitspflege für Rentner. Viel spricht dafür, daß die meisten militanten Aktivisten in den mittleren Jahren oder älter sind. Sie haben Angst, daß Obama ihre bevorzugten Programme beschneiden könnte, etwa indem er ihnen die Altersrente zugunsten seiner Wähler aus den Minderheiten und der Arbeiterschicht kürzt.
Die Engagierten behaupten, daß es ihnen darum ginge, gegen steigende Staatsausgaben öffentlichkeitswirksam zu protestieren. Im Januar wurde ein vielbeachteter Konvent in Nashville im Staat Tennessee einberufen, wo die Mitglieder der neuen Tea-Party-Bewegung zusammenströmten, um gemeinsam ihr Mißfallen zu bekunden. Hier trafen die schon anerkannten Sprecher dieser Bewegung mit Prominenten aus der Republikanischen Partei zu Verhandlungen zusammen. Zu den großangekündigten Rednern zählte die ehemalige republikanische Kandidatin für die Vizepräsidentschaft Sarah Palin. Ihre heftigen Angriffe gegen die von den Demokraten geführte Verwaltung mitsamt ihrer Verschwendungspolitik rissen die Zuhörerschaft wiederholt zur stehenden Ovation hin.
Dem Anschein nach eiferte Palin gegen eine auf der Versammlung herausgestrichene Schwachstelle der Regierung, nämlich den amerikanischen Konsumenten genügend Erdöl zu beschaffen. Als Gouverneurin von Alaska, einem ölproduzierenden Staat, verschaffte Palin sich den Ruf, eine Verfechterin von Ölbohrungen und Gegnerin ökologischer Aktivisten zu sein. Um dieses Thema kreiste ihre Ansprache in Nashville, die sie mit einer Vielzahl von mundgerechten, harmlosen Floskeln ergänzte. Dazu gehörten Aussagen wie: „Ich bin stolz, Amerikanerin zu sein.“ „Ich stamme aus dem zukunftsweisenden, richtunggebenden Bundesland Alaska.“ Und nicht zuletzt: „Immer noch erinnere ich mich voller Bewunderung an Ronald Reagan.“ Anderthalb Stunden lang zogen sich Palins größtenteils inhaltslose Äußerungen hin, auch wenn sich niemand in Nashville darüber ärgerte und die Menge tosenden Beifall spendete.
Als McCains Mitkämpferin war Palin von dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten erwartungsgemäß schwer zu unterscheiden. Während des gescheiterten Wahlkampfes trat sie für die Amnestierung der rechtswidrig zugewanderten Immigranten und eine strengere Handhabung von Sondergesetzen ein, die Frauendiskriminierung verhindern sollen, und außerdem für eine Fortsetzung der von George W. Bush und den Neokonservativen gestalteten und auf eine Weltdemokratie hinzielenden Außenpolitik. Die einzige charakteristische Streitfrage, in der Palin vorbehaltlos entschied, war ihr gezieltes Nein zur Abtreibung. Wie schon weithin bekannt ist, brachte sie 2008 einen schwerbehinderten Säugling zur Welt; das jüngste ihrer ingesamt fünf Kinder. Als erklärte Christin widersetzt sie sich ohne Umschweife einer „Kultur des Todes“. Allerdings ging sie nicht ins einzelne, wie sie die Abtreibungen gesetzlich abzustellen gedenkt. Von einer wünschenswerten Klarheit in diesem und anderen Belangen ist Palin weit entfernt.
Eine genauere Einsicht in die Ausrichtung der ehemaligen Gouverneurin gewährt ein Gespräch mit dem neokonservativen Vordenker Norman Podhoretz im „Wall Street Journal“ vom 30. März 2010. Podhoretz ließ verlautbaren, daß er und sein politischer Mitarbeiter William Kristol, der zweifelsohne prominenteste neokonservative Publizist aus der zweiten Generation und Sohn des einflußreichen Paares Irving Kristol und Gertrude Himmelfarb, sich für Palin als nächste Präsidentschaftskandidatin entschieden haben. Podhoretz ist mit ihren tatkräftigen außenpolitischen Absichten einverstanden und hob begeistert ihren christlichen Zionismus hervor. Er zeigte sich überzeugt, daß man Palin darin vertrauen darf, bei der Innenpolitik nichts Übereiltes zu versuchen, da sie außenpolitisch neokonservative Ziele anpeilt. Den Regierungsakzent würde sie von innen nach außen auf den Kampf gegen den „Islamofaschismus“ verlagern.
Es nimmt nicht wunder, daß Podhoretz und Kristol die Tea-Party-Bewegung positiv einschätzen und sie ebenso wie Palin für ein brauchbares Machtinstrument halten. Die neokonservativen Wortführer rechnen in dieser Hinsicht nicht mit aufmüpfigen Libertären, die sich gegen ihre gewagte Außenpolitik auflehnen könnten. In ihren Aussagen über Palin sehen sie diese Dame und ihre Fußsoldaten als eine Gegenkraft an, die einzusetzen sind, um die „Paläokonservativen“ und kampfscheue Gemäßigte in ihre Schranken zu verweisen. Palin wird es den Neokonservativen ermöglichen, so Podhoretz, sowohl die reaktionären wie auch die kriegsmüden Elemente innerhalb der Rechten restlos auszugrenzen. Von ihr als Präsidentin erwartet er eine „weitblickende“ Regierung; und wenn sie sich noch nicht auf die Außenpolitik versteht, kann man sich sicher sein, daß sie sich „lernbereit“ zeigen wird.
Bei den Festlichkeiten, auf denen Palin sich so in Szene setzte, trafen sich die selbsternannten Vertreter der Tea-Party-Bewegung auch mit Michael Steele, dem schwarzen Vorsitzenden des Republican National Committee, der die neu aufgestellte, multikulturell offene Partei verkörpert, zu einem klärenden Gespräch. Dieser hat für Parteifraktionen, die rechts der Mitte stehen, nichts übrig. Doch trotz seiner ablehnenden Haltung der Rechten gegenüber, kommen er und die Tea-Party-Unterhändler miteinander zurecht. Mit Pfründen können diese wohl abgespeist werden, so sieht es der Vertreter der Republikaner, wenn sich die Einsteiger nicht zu viel anmaßen.
Derweil gleicht der neokonservative Fernsehkanal FOX News die verbliebenen Gegensätze aus. Es wird verlautbart, daß die Tea-Party-Anhänger darauf sinnen, mit anderen Republikanern eine Parteiplattform zu bilden. Man muß wissen, daß die Mehrheit der Versammlungsteilnehmer in Nashville sich nach einer Umfrage der „National Review“ als Republikaner auswiesen. Darüber hinaus stimmten sie in der letzten Präsidentschaftswahl mehrheitlich für McCain und Palin. Wenn dem so ist, dann ist der Abstand zwischen den Unterhändlern mit Leichtigkeit zu überbrücken. Obwohl vereinzelte Sprecher der Bewegung beide Parteien gleichermaßen verwerfen, ist doch festzuhalten, daß sich die Tea-Party-Basis aus treuen, wenngleich nicht bedingungslos parteihörigen Republikanern zusammensetzt. Und sie richtet ihre Wut gegen eine für Republikaner zulässige Zielscheibe, nämlich die Bürokratie und vorrangig die weithin unbeliebte Gesundheitsversicherungsreform des demokratischen Präsidenten.
Den begeisterten Zuhörern geben die überbordenden Staatsausgaben der Demokraten Anlaß, dem aufgestauten Ärger der Steuerzahler Luft zu machen. Bei näherem Hinsehen ist die Sache nicht so vielversprechend. Zum einen sind die sogenannten Aufständischen keineswegs auf die Straße geströmt, um gegen den verschwenderischen republikanischen Vorgänger der derzeitigen demokratischen Verwaltung vorzugehen. Das ist zu unterstreichen. Bush hat in seiner Zeit recht wenig geleistet, um die bestehende Bürokratie und deren Ausgaben in Schranken zu halten. Trotzdem haben sich die gegenwärtigen Tea-Party-Anhänger nicht gerührt, um lautstarke Kundgebungen gegen seinen mit Zuwendungen gespickten Etat abzuhalten. Ebenso beachtenswert ist ihre Weigerung bei der letzten Präsidentenwahl, anständige Kandidaten wie Ron Paul und Chuck Baldwin zu unterstützen. Sie ließen sich die glückliche Gelegenheit entgehen, für Kandidaten einzutreten, die ihre eigenen angeblichen Anliegen zielbewußt in den Vordergrund stellten. Einem solchen Ausscheren zogen die heutigen Tea-Party-Aktivisten eine Unterstützung der Gruppierung der Mitte vor. Das führt zu dem zwingenden Schluß, daß es sich bei der Tea-Party-Bewegung um republikanische Fußtruppen handelt.
Zum anderen lassen die Kürzungsforderungen der Tea-Party-Bewegung immer noch auf sich warten. Welche Ministerien will sie auf den Scheiterhaufen werfen, und an welchem Teil der Mammutregierung sollen wir mit der Beschneidung der Staatsagenden beginnen? Es hat keinen Sinn, mit großen Planierraupen am Kampfplatz anzutreten und zum Beispiel die Absicht zu verkünden, die Abrißbirne auf allen Dezernaten wahllos einzusetzen und den betreffenden Beamten ihre Gehälter zu kürzen. Was diesbezüglich fehlt, ist ein Hinweis, was die Tea-Party sich im einzelnen erhofft, um eine Verkleinerung der verachteten Regierung zu erreichen, vorausgesetzt, daß sie sich überhaupt dafür interessiert. Bislang scheint es, daß man den Demokraten eine unverzeihliche Verschwendungssucht ankreidet, die den Republikanern großzügig nachgesehen wird.
Wer meint, daß die Tea-Party-Bewegung in der Republikanischen Partei nahtlos aufgehen wird, liegt damit keineswegs falsch. Es wäre schwer, zu einer anderen Schlußfolgerung zu gelangen. Auf den Tea-Party-Versammlungen ist ein gewisses Sichaufputzen zu bemerken; eine Verhaltensweise, die noch nie zu etwas Konkretem geführt hat. Die im Fernsehen Auftretenden kommen mit einer Vielzahl von buntgefärbten Plakaten, auf denen allerhand Steuern beklagt werden. Sie beeilen sich, dem Publikum nahezulegen, daß sie nichts Derartiges mehr dulden werden. Dann laufen sie schnurstracks auf ihre Bekannten zu, um die angebotenen Unterhaltungsgelegenheiten zu nutzen.
Nur wer sich selbst betrügt, könnte diesen Klüngel mit wahren Umstürzlern verwechseln – oder mit dem haßerfüllten Gedränge, das sich in Dresden neulich zusammenrottete, um die Trauernden der 1945 verübten Bombenzerstörung zu bedrohen. Im einen Fall steht man vor einer verspielten Maskerade, im anderen vor einer langwierigen sozialen Erkrankung.
Vorausblickend muß man bedenken: Wenn es den Republikanern in diesem Jahr gelingt, die Mehrheit im Kongreß zu erlangen, dann werden die gegen Steuern protestierenden Quengler von heute auf morgen vom Bildschirm verschwinden. Mag sein, daß eine begrenzte Anzahl dieser Gattung auf den Straßen verharren wird, bis den Demokraten das Präsidentenamt verlorengeht. Genauer zu bestimmen aber ist die Rolle derjenigen, die sich in Nashville als Führer präsentierten. Sie verstehen, Werbung zu machen für dieselbe Partei, mit der sie jetzt im Blickpunkt der Öffentlichkeit verhandeln. Der Tea-Party-Bewegung geht es um eine Reaktion auf die im letzten Jahr erfolgte republikanische Wahlniederlage. Aus diesem flüchtigen Phänomen mehr herauszulesen, hieße, sich auf Irrwege zu begeben.
Diese Bewegung entspricht einem anderen Zeitphänomen, das während der Regierungszeit von Bush auftauchte, der Opposition gegen den Krieg nämlich, die nach dem Überfall auf den Irak in Gang kam. Obwohl sie von den Demokraten gesteuert wurde, vereinnahmte diese halbversteckte Opposition auch sonstige Kriegsgegner aus der alten konservativen sowie der linken Ecke für sich. Die eskalierende Gegnerschaft hat weltpolitische Bedeutung erlangt, bis die Demokraten es schafften, die Präsidentschaft mitsamt dem Kongreß auf einen Schlag zu erobern.
Eher der Wirtschaftskrise als einem aufreibenden Krieg ist die republikanische Niederlage geschuldet, doch in jedem Fall nutzte den Demokraten ihr antibellizistisches Auftreten. Seitdem arbeiten sie dienstbeflissen der Kriegspolitik der demokratischen Regierung zu. Seitdem muß man auch mit keiner Opposition gegen den Krieg mehr rechnen, da die neokonservativ beeinflussten Republikaner die Demokraten zu noch mehr Kriegslust aufpeitschen. Angesichts der Spenden, die sie erhalten, und im Hinblick auf die mediale sowie amtliche Bevorzugung dieser beiden Schmuckstücke der westlichen Demokratie darf man annehmen, daß die amerikanischen Nationalparteien über die Mittel verfügen, Protestwellen Auftrieb zu geben, um sie dann zweckmäßig einzustellen. Das und weitaus mehr können sie tun, um ihre opportunistische Politik mit einer Mogelpackung zu verschleiern.
Seit ihrer bundesweit bekannt gemachten Versammlung im Januar haben die bürgerlichen Protestler keinerlei Anstalten gemacht, massenhaft aus der republikanischen Partei auszutreten. Stattdessen schließen sie sich besonderen republikanischen Kampagnen an, deren Frontmänner es verstehen, die Hineinströmenden mit rhetorischen Floskeln abzuspeisen. Der vor zwei Monaten erfolgreich abgewickelten Kampagne des in Massachusetts neugewählten Senators Scott Brown gab der Tea-Party-Bewegung Auftrieb. Als linksgeneigtem Republikaner gelang es Brown, die Stelle des verstorbenen Linksdemokraten Edward („Ted“) Kennedy zu besetzen. Sein offener Widerstand gegen die von Obama schließlich durchgedrückte Gesundheitsfürsorge-Vorlage gab seinem Vorpreschen einen Rechtsdrall.
Trotzdem wäre es falsch zu übersehen, was wirklich geschehen ist. Der Wahlsieg von jemand, der im Kampf mit einer ehemaligen Handlangerin Kennedys steht, läßt die Presse aufhorchen, doch einen landesweiten Rechtsruck besagt er mitnichten.
Trotzdem tat sich eine Abspaltung auf, als die Tea Party in die republikanischen Vorwahlen hineindrängte. Hart prallten vor allem in Arizona, wo dem ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Senator John McCain im Frühling ein Herausforderer von rechts namens J. D. Hayworth entgegenstand, die republikanischen Fronten aufeinander. Das Fazit: Die Parteiurgesteine inklusive ihrer neokonservativen Berater können nun erleichtert aufatmen, daß McCain in der Arizona-Vorwahl, wenngleich mit knapper Not, durchhielt. Für eine neokonservative Außenpolitik ist der Siebzigjährige bisher verläßlich eingetreten.
Die Mitte dürfte ihm nachsehen, daß er unter der Wucht eines hart durchgefochtenen Wahlkampfes einem landesweiten Gesetz in Arizona, das die Medien als „rassistisch“ bewerten, zustimmte. Es gesteht den Polizisten die Berechtigung zu, gegen einen schon Verdächtigten wegen seines fraglichen Migrationshintergrunds zu ermitteln. Der öffentlichen Meinung nach stimmte der Senator zu, um seinem rechtskonservativen Gegner kein besseres Profil als Kämpfer gegen die Ausländerkriminalität zuzugestehen. Eine derartige Maßnahme war unvermeidbar angesichts der von Obama bezeugten Weigerung, der illegalen Zuwanderung, den Drogenhandel mit eingeschlossen, willenskräftig entgegenzuwirken.
So weigerten sich Obama und die Demokraten im Kongreß, eine wirklich effektive Grenzkontrolle einzurichten, um die illegale Zuwanderung von Latinos aus Mexiko besser in Griff zu bekommen. Darauf sprangen die Abgeordneten von Arizona mit ihrem Kandidaten in die Bresche. Im Eifer des Gefechts, so die Vermutung, erlag McCain dem steigenden politischen Druck.1
In Februar brachen Palin und Scott Brown plötzlich nach Arizona auf, um McCain eine konservative Einstellung zu attestieren. Während sie damit ihren rechtsstehenden Anhang vergrault haben müssen, ist zu bemerken, daß die beiden Prominenten dem Senator einen Dienst entgelten wollten. McCain hat für Browns Kandidatur geworben, und früher erwies er Palin eine nie völlig zu vergütende Gefälligkeit, als er sie aus dem relativen Nichts als seine Mitkandidatin auserkor. Möglich ist es auch, daß die beiden in Arizona ins Gemenge eingriffen, um der Parteiführung gefällig zu sein und ihre eigene Laufbahn voranzutreiben.
Bei alledem zeichnet sich ein Spannungsfeld ab, das einen Verdacht beinhaltet. Palin hat ihren ehemaligen Glanz nicht bewahren können, und das Thema, das die Republikaner samt und sonders als „konservative Erneuerung“ erscheinen lassen wollten, scheint schon ausgelutscht. Abzuklingen scheint auch die Begeisterung für den republikanischen Aufstand gegen Obama und seine linke Politik, da es schon im aller Mund ist, daß republikanische Kongreßkandidaten in den nordöstlichen Bundesstaaten zaudern, das schon erlassenen Gesundheitsgesetz rückgängig zu machen.
Noch ärgerlicher ist, daß die republikanische Führungsschicht ihren Kandidaten einschärft, brenzlige Streitfragen zu vermeiden. Wenn Tea-Party-Aktivisten die Republikaner bislang noch nicht verlassen, so geht doch schon vielen die Parteitreue verloren. Manche ahnen wohl, daß sie von den Bonzen zum Narren gehalten worden sind. Ebenso ernüchternd mußte auf sie die neokonservative mediale Hochburg FOX wirken, die kürzlich gegen die Gefahr von rechts das Schlachtroß Charles Krauthammer einsetzte. Krauthammer nahm Ron Paul und seinen Sohn Rand in Beschuß, der in der republikanischen Vorwahl im Bundesstaat Kentucky lässig gesiegt hatte. Der hartgesottene Neokonservative giftete gegen alle Gegner der bestehenden „demokratischen Wohlfahrtsregierung“ und insbesondere gegen die wenigen „allein auf weiter Flur Stehenden“, die eine streitbare amerikanische Außenpolitik ablehnen. Den neokonservativen Medien dämmert es schon, daß sie ihre Knechte nicht allzeit beherrschen werden.
Trotz allem wirkt die alte Parteianhänglichkeit untergründig und psychologisch. Sie weicht die Widerstandskraft der Mitglieder an der Basis auf und drängt sie zu dem Entschluß, der Partei, die als das kleinere Übel erscheint, ihre Stimme zu schenken. Hierzu kommt eine andere, schwerwiegendere Überlegung in Betracht. Die Urnengänger wähnen sich „konservativ“, wenn sie für eine Partei abstimmen, die nicht als „linksstehend“ eingestuft und nicht als „rechtsaußen“ abgestempelt ist. Größere Forderungen muten sie ihrer bevorzugten Partei nicht zu, gesetzt, sie beschützt ihre Renten.
Zuletzt kann folgende Rücksicht nicht außer acht bleiben: Die Tea-Party-Aktivisten bejahen den demokratischen Fürsorgestaat zwar nicht unbedingt, sie sind zum Großteil aber auch nicht bereit, ihn abzuschaffen. Der Zankapfel betrifft nicht die Annahme oder Nichtannahme einer breitgefächerten, über die Staatsbürger dominierenden und einkommensumverteilenden Regierung. Stattdessen gibt es eine weniger gravierende Konfrontation: Die Seiten überwerfen sich über die Konturen und das Ausmaß eines schon geschaffenen, amtlichen Sicherheitsnetzes. Wenn man das Gerede ausblendet, so passiert hierzulande nichts Nennenswertes.
Anmerkung:
Der gängigen Ansicht ist entgegenzuhalten, daß McCain aufgebracht war, als er bei den Latinowählern erheblich an Stimmen einbüßte. Ungeachtet McCains weithin bekannten Einsatzes für eine großzügigere Immigrationspolitik mit besonderer Rücksicht auf die mexikanischen Einwanderer, schaffte es Obama bei der Präsidentenwahl, mehr als achtzig Prozent der Latinostimmen einzufangen. Wenn man die vorwiegend republikanischen Kubaner, die meist im Bundesstaat Florida beheimatet sind, aus der Rechnung streicht, dann scheint der demokratische Sieg umso größer. Seit dieser traumatischen Schlappe weicht McCain von seiner immigrationsfreundlichen Haltung ab. Etliche Tage vor der Vorwahl stapfte er verbissen und in Freizeitkleidung mit einem Megafon in der Hand an der mexikanischen Grenze entlang. Den gegenüberstehenden Wachen schrie er entgegen, daß er alle Mittel einsetzen werde, um illegale Immigranten herauszuhalten. Nach einem vergeblichen Schmeicheln erfolgte bei McCain in diesem Fall ein spätes Erkennen der bitteren Wahrheit.