Die Formen, Wege oder Motive von Jüngers intellektuellen Dialogen freizulegen, wird bei Oswald Spengler zur Herausforderung. Beide Autoren sind heute extrem kommentarbedürftig, insbesondere, was ihre Produktion der 1920er Jahre anbetrifft. Generationsversetzt sind beide in den Jahren der Weimarer Republik intensiv publizistisch tätig: für Spengler eine Zeit gewaltigen Erfolges; für Jüngers Autorenkarriere die literarische Frühzeit – nach Fronterlebnis, Reichswehr und Naturkundestudium. Beide profilieren sich für die intellektuelle Rechte. Sie nehmen beherzt teil an Zeitereignissen und Meinungskämpfen. Daneben gibt es den internen Einfluß; die nachhaltige Wirkung des Älteren auf den Jungen. Nichtsdestoweniger finden sich dessen politische Topoi auch beim späten Spengler, so in den „Jahren der Entscheidung“ (1933). Freilich kaum aufgrund bewußter Übernahme, vielmehr durch beider Teilhabe an der „Situation“ – dem Zeitklima, den typischen Fragen, den einschlägigen Debatten. Mehr noch: Beide, keine Zunftliteraten, galten damals als Großintellektuelle, weltanschauliche Exponenten der Zeit. Das historische Urteil hat dies bestätigt. Und ihre Schriften, keine bloßen Reflexe, zeigen Konturen auf, die die Epoche sich selbst gab.
Im Jahr 1919 erscheint Spenglers „Preußentum und Sozialismus“ und 1920 Jüngers „In Stahlgewittern“. 1932 gibt Jünger seinen „Arbeiter“ heraus und Spengler 1933 die „Jahre der Entscheidung“, bevor er verstummt. So markieren ihre Thesen Anfang und Ende der Republik. Diese vier Schriften sind große Zeitdeutung, signifikant, aber voraussetzungsvoll; voll komplexer Argumente, von schillernder Aura, auslegungsbedürftig in hohem Maß. Nimmt man weitere Texte hinzu, zeigen sich Nähe wie Abstand beider. Sie entwerfen eigenwillige Konzepte nationaler Politik und eines neuen Sozialismus. Ersichtlich wird, wie sie sich wandeln, unterschiedlich positionieren; das bestimmt den literarischen Kontakt. Was den persönlichen angeht, so dokumentiert er sich in Briefen. All das streut die Positionen, macht Relationen unübersichtlich.
Spengler starb 1936, als Jünger sich in einer Phase der Neuorientierung befand. Dessen politisch-voluntaristische Periode endet 1932 mit der Publikation des „Arbeiters“. Das sich nun abzeichnende, kontemplative Weltbild transformiert auch Anthropologie, Ästhetik, Geschichts- und Kulturkonzepte. Nicht nur hebt die biographische Zäsur den jungen Autor vom mittleren und älteren deutlich ab. Sie begründet auch eine zweite, lange Periode der Spengler-Rezeption.
Übereinstimmend hat jedenfalls die Forschung festgestellt: Spengler war einer der großen Autoren für Jünger, er blieb es jederzeit. Ihm galt dauernde Aufmerksamkeit; ein „Meisterdenker“, der in seinen Irrtümern bedeutender sei „als seine Gegner in ihren Wahrheiten“, so das Urteil von 1939. „Das Geheimnis seiner Sprache“ liege darin, „daß sie Herz besitzt und großen Katastrophen gewachsen ist.“ (Tagebuch 15. Juni 1939) Doch parallel zu Spenglers Universalität, seiner Polarität von Polemik und metaphysischen „Urfragen“, wandelt sich auch Jüngers Bezugnahme deutlich: Dem jungen Autor ist Spengler der „politische Mentor“, dem späteren Humanisten und Weltreisenden ein „philosophischer Meister“. Liegt zunächst der Fokus auf den politischen Schriften, so liegt er in der zweiten Lebenshälfte ganz auf Spenglers philosophischem Hauptwerk, dem „Untergang des Abendlandes“. Nun sind es Kulturfragen, Epochen, Stilprobleme, Zeitreflexion und Spenglers ästhetisch-symbolische Anschauung, die Jünger fesseln. Doch geht er auch über Spenglersche Einseitigkeiten hinaus; Jünger erweist sich als kreativer Fortdenker. Seine Worte hierzu reflektieren den Beziehungsreichtum von Denken und Werk. Sie zeichnen die verschlungenen Wege von Autorschaft und persönlichem Wachstum nach.
Vorstellung von Ausmaß und Intensität einer vieljährigen Spengler-Lektüre geben zwei Briefe Jüngers. Zunächst sei der an den Bruder Friedrich Georg vom 27. August 1922 zitiert:
„Bei der Lektüre von Spengler wurde mir übrigens deutlich, daß ich in der Überzeugung von der Einheit der Menschheits-Geschichte nicht zu erschüttern bin. Ohne das würde sie für mich sogleich zur Zoologie. Ich meine allerdings, daß diese Einheit sich wie ein Rätsel in den Völkern verbirgt, und in glücklichen Augenblicken nähert man sich hier oder dort der Auflösung. (…) Ich denke, daß man sich hierfür die Augen schärfen muß. In den nächsten Jahren gedenke ich nach Kräften Galerien, Museen und Bauwerke aufzusuchen, und ich möchte in der Betrachtung einen Punkt erreichen, an dem ich mit Sicherheit (…) behaupten kann, daß etwas gut gewachsen ist. Unter diesem Winkel bestimme ich meine Verwandtschaften. Mein Feldherr ist eben nicht Moltke oder Schlieffen, sondern Leonidas. Sonst aber hat Spengler mir wirklich in vielem die Schuppen gelöst. Auch ist mir jetzt, nach der zweiten Lektüre, sein Zugriff geläufig, eine Art der geistigen Perlfädelei oder eine Melodie des Analogen, die sich in fast jedem Satze wiederholt. Daher kommt es wohl auch, daß er so lebhaft ergriffen wird. (…) Das entschieden angenehme Gefühl, das mich beim Lesen ergriff, erkläre ich mir so: der geistige Vormarsch der Nation findet auf einer ganz bestimmten Linie statt. Jedem, der sich dort bewegt, ist auch ein gewisses Bewußtsein davon oder die Verantwortung mitgeteilt. In dieser Lage teilt sich dem Vortrage eine gebieterische Note mit, die ich weder bei Schopenhauer noch bei Nietzsche überhörte, und die ich hier wiederfand. Ich glaube ein Gefühl für Sätze zu besitzen, die ex cathedra gesprochen sind. Das geht wie Samenkörner in mir auf.“
Soweit die erstaunlichen Zeilen des Reichswehroffiziers. Sie gelten der Lektüre von Spenglers „Untergang“, dessen Bände 1918 und 1922 erschienen waren. Auffällig am Brief ist auch die antizyklische Motivik, die spätere Einsichten vorwegnimmt: so den Einheitsaspekt, die Dialektik von Pluralität und Einheit in der Geschichte – gegen Spenglers These von der Inkompatibilität der acht Kulturmonaden. Zudem verblüfft die positive Konnotierung der Bildungsidee. Die Metapher der „Perlfädelei“ spielt auf Spenglers universelle Symbolik an und sein System historischer Morphologie – Züge, die den älteren Autor zu mancher Reflexion anregen sollten. Der Schluß verweist auf die „rhapsodische Komposition“ des „Untergangs“ und den apodiktischen Stil von Spenglers Schriften.
Hingegen zieht das späte Briefzeugnis vom 20. Februar 1995 („Siebzig verweht V“) rückblickend Bilanz:
„Sie haben recht in der Vermutung, daß Oswald Spengler einen bedeutenden Einfluß auf meine geistige Entwicklung ausgeübt hat. Meinem Bruder Friedrich Georg, der nach seiner schweren Verwundung Muße zum Lesen gefunden hatte, verdanke ich den ersten Hinweis auf den ‚Untergang des Abendlandes‘. Auch mich hat die Lektüre fasziniert. Die Folge war ein Brief an den Autor, dem ich auch mein Kriegstagebuch sandte – er lud mich daraufhin nach München ein. Ich war damals sehr beschäftigt – daß ich der Einladung nicht gefolgt bin, bedaure ich noch heut.
Im Herbst 1932 kam es noch zu einem kurzen Briefwechsel anläßlich meines Buches ‚Der Arbeiter‘. Spengler hat das Wort im Sinn des 19. Jahrhunderts, also des Klassenkampfes, verstanden – damit war ihm, ähnlich wie Carl Schmitt, schon der Titel suspekt. Beide hielten die Absicht des Werkes für ein Lob des Proleten im marxistischen Sinne – für mich ist es ein neuplatonischer Rückgriff auf die prometheische Substanz. Das wird mir erst heute deutlicher.
Dazu empfehle ich Ihnen die Lektüre des großartigen Kapitels, das mein Bruder Friedrich Georg in seinen ‚Griechischen Mythen‘ dem Prometheus gewidmet hat. Die Götter schöpfen aus der Fülle – Prometheus schafft.
‚Prometheus ist stolz auf die Werke seines Geistes und seiner Hand, und dieser Stolz kehrt bei dem prometheischen Menschen wieder, bis in die Verkrümmung hinein, bis in jene Selbsteinschätzung der Arbeit und des Arbeiters, die den Sisyphismus wieder in das Leben einführt.‘“
Die späte Selbstaussage bestätigt den Meisterdenker und umreißt das Biographische. Beim „Arbeiter“ hat sich Jünger oftmals geärgert über Mißverständnis, irrige Lektüren bei Freunden, die das Werk ablehnten. Sodann: Wie immer auch die spätere Entwicklung, so ist hier die neuplatonische Perspektivierung der Thesen von 1932 retrospektiv verzeichnet. Andererseits zeigt der Altersbrief sehr deutlich eine gewisse Kontinuität von Grundgedanken; Bestätigung wie Revision des „Arbeiters“ bilden ein komplexes Thema der zweiten Lebenshälfte.
Zum dritten sei der Brief Jüngers an Spengler selbst vom 7. August 1925 zitiert. Ein Jahr zuvor hatte er ihm „In Stahlgewittern“ gesandt, wofür Spengler ihm brieflich dankte. Jetzt hatte Jünger (gemeinsam mit Helmut Franke und Franz Schauwecker) die Redaktion der Standarte (als Beilage zum Stahlhelm) übernommen und suchte Spengler als Mitarbeiter zu gewinnen. Er schreibt:
„Nach einer längeren Zeit des rein wissenschaftlichen und literarischen Studiums halte ich es auch für mich wünschenswert, schärfer als bisher in das tatsächliche Leben einzutreten. Das hat mich veranlaßt, den nationalen Bünden näherzutreten, von denen ich mich bis jetzt ferngehalten habe, indessen sind sie der einzige Faktor, in den der Machtgedanke augenblicklich hineingetragen werden kann, und was helfen alle Worte ohne eine feste Basis, ohne Verwirklichungsmöglichkeiten. Daher habe ich mit Vergnügen ein Angebot des ‚Stahlhelm‘ ergriffen, der mir wöchentlich eine Seite für eine Aufsatzreihe programmatischer Natur zur Verfügung stellt. Ich habe das Thema ‚Der Frontsoldat und seine Aufgabe‘ gewählt, ich denke im ersten Teil diesem bisher fast lediglich empirisch angewandten Worte einen festen Charakter zu geben und im zweiten Teil zu einer bewußten Politik aufzurufen.“
Das hier ausgedrückte Wirklichkeitsbild, der Machtgedanke, der Verweis auf Krieg und Fronterlebnis, die Aktionsbereitschaft bezeichnen die akute Wendung Jüngers zur politischen Publizistik.
Eine Sichtung der Rezeption Spenglers in Jüngers Leben und Werk hat also der vielfältigen Verflechtung beider Autoren in den 1920er Jahren nachzugehen, sodann der langfristigen Wirkung des Philosophen in Jüngers Kultur- und Geschichtsreflexion. Verschiedene Interpreten haben in den letzten Jahren die Nähe beider bemerkt und ihre Funktion in der antidemokratischen Weimarer Rechten betont. Hermann Lübbe etwa spricht formelhaft vom Antibürger und Antimarxist, über politischen Existenzialismus und preußischen Sozialismus. Helmuth Kiesel gibt sechs Stichpunkte: „neuer Nationalismus“, „autoritärer Staat“, das „Phänomen Arbeit“ in der mobilisierten Moderne, die „Philosophie des verlorenen Postens“ und das Geschichtsbild. Der Pariser Germanist Gilbert Merlio schließlich erörtert den Konnex unter Aspekten wie Antiintellektualismus, Antiuniversalismus, heroischer Realismus, Voluntarismus, Revolution und Sozialismus, Gestaltdenken, preußisches Beamtentum, Mensch und Technik. All das zeigt eine Konzentration auf Jüngers Frühzeit an, auf die heiklen, eben politischen Themen.
Indes sollte man auch für diese Periode Jüngers Interesse an der Metaphysik nicht klein reden. Die metaphysische Seite hat ihn an Spengler stets fasziniert, und sie erwies sich unverwüstlich. So fand Jüngers frühe Lektüre parallel zu der Hermann Graf Keyserlings statt, mit dem er den Münchner Philosophen des Schicksals oft zusammenrückt. Das zeitgleich zum „Untergang“ erschienene Hauptwerk des Balten, „Reisetagebuch eines Philosophen“ (1919), hat Jünger sorgfältig gelesen. Spengler und Keyserling gehören mit Leopold Ziegler, Martin Buber oder russischen Intellektuellen wie Nikolai Berdjajew, Wjatscheslaw Iwanow und anderen zu einem illustren Kreis freier Denker: Grenzgängern zwischen Universität, Philosophie und transdisziplinärer Kulturarbeit. Einige von ihnen führte Keyserling damals in seiner „Schule der Weisheit“ in Darmstadt zusammen. Charakteristische Arbeiten dieser Gruppe waren etwa Zieglers „Gestaltwandel der Götter“ (1920) oder Berdjajews „Neues Mittelalter“ (1927), seinerzeit viel gelesen und heftig diskutiert.
Jüngers Spengler-Auseinandersetzung basierte auf der raschen Folge von dessen Schriften, die gleich ungeheuer wirkten. 1918 war das Jahr des 1. Bandes des „Untergangs“, 1922 erschienen beide Bände in neuer Gestalt. 1919 war „Preußentum und Sozialismus“ herausgekommen; 1924 folgten zwei weitere, wirkungsmächtige Schriften: „Neubau des deutschen Reiches“ und die „Politischen Pflichten der deutschen Jugend“, 1931 dann „Der Mensch und die Technik“ und 1933 „Jahre der Entscheidung“. So umgreift Spenglers Wort Beginn wie Ende der Republik.
Krieg und Niederlage radikalisierten die Kulturkritik, auch bei Spengler und Jünger. Sie erzwangen das Bewußtsein einer historischen Kehre. Der seit 1900 unter deutschen Intellektuellen verbreitete Pessimismus eskalierte angesichts der Frage, welcher Schluß aus der Niederlage und dem Zusammenbruch bürgerlicher Ordnung zu ziehen war. Erst recht, wenn man sie als inneres Drama verstand. Der Mentalität des Unbedingten, dem apokalyptischen Bewußtsein konnte pragmatisches Handeln kaum genügen. So entstand die Sehnsucht nach einer fundamentalen Wende. Zwiefach war sie vorstellbar. Einmal eschatologisch als Spiritualismus, der den alten Menschen verbraucht sah und zur geistigen Wiedergeburt aufrief. Das messianische Pathos der deutschen Expressionisten entfaltet diese Idee. Auch Berdjajew spitzte die Idee der metaphysischen Revolte zum Projekt einer „freien Theokratie“ zu. Er prophezeihte:
„Der Glaube an eine politische und soziale Rettung der Menschheit erlischt.“ In der Neuzeit habe „eine Bewegung vom Zentrum, vom innersten Kern des Lebens zur Peripherie, zur sozialen Oberfläche des Lebens stattgefunden“. Desto mehr werde „das ganze menschliche Leben vom sozialen Prinzip beherrscht. Die Politik hat das ganze Leben gleich einem Parasiten, der ihm das Blut aussaugt, umstrickt. Das moderne (…) Leben ist fast durchweg kein reales ontologisches Leben, sondern es ist eine Fiktion, eine Illusion. Der Kampf der Parteien, die Parlamente, Versammlungen, Zeitungen, Programme, Agitationen und Demonstrationen, der Kampf um die Macht – das alles nicht das wahre Leben (…), in all dem ist es schwer, bis zum ontologischen Kern vorzudringen.
Es muß in der Welt eine gewaltige Reaktion oder eine Revolution gegen die Herrschaft der äußeren sozialen Bestimmtheit und der äußeren Politik beginnen, eine (…) Revolution im Namen einer Hinwendung zum inneren geistigen Leben, und zwar nicht nur zum persönlichen, sondern auch zum überpersönlichen geistigen Leben (…). Aber es ist nur zweierlei möglich: entweder ist das geistige Leben die höchste Realität, und dann ist in ihm mehr Leben als in allem Lärm der Politik, oder es ist unreal, und dann muß man es als eine Lüge ablehnen. Wenn alles lebensentleert und erschöpft scheint, wenn der Boden so aufgelockert ist wie in unserer Zeit, wenn es keine Hoffnungen und Illusionen mehr gibt, wenn alles enthüllt und entlarvt ist, dann ist die Zeit für eine religiöse Bewegung in der Welt gekommen“.
Alternativ bestand die Möglichkeit eines politischen Existenzialismus, der entschlossenen Hinwendung zur Praxis im Zeichen eines Wiederaufstiegs zur Macht. Dieses Reaktionsmuster war antispiritualistisch und klar politisch. Der Hintergrund bestand in jenem seit Nietzsche viel berufenen Nihilismus, für den eine geistliche Regeneration des Menschen nicht mehr möglich schien. Im Gegenteil werden in diesem Lager gern „romantische Illusionen“ gegen „harte Realität“ ausgespielt, „Gefühle“ gegen „Kälte“. Dem entspringt ein spezifischer Zynismus, der „Wahrheiten“ für „Taten“ preisgibt und „Gerechtigkeit“ für „Macht“. Eine entgrenzte Ideologiekritik denunziert alle geschichtlichen Erscheinungen, alle Kulturschöpfungen als kontingent. Das zerstört nicht nur die Berufung auf Transzendenz, sondern auch auf die eigenen Traditionen. Solch radikalem Pessimismus entspringt dann Nietzsches „amor fati“, Spenglers „tapfere Skepsis“ und der „heroische Realismus“ der Jungkonservativen. Krieg, Niederlage, Zusammenbruch erzwingen so, im Sprung nach vorn, einen neuen Nationalismus der Machtbehauptung nach außen und einen Sozialismus autoritärer Integration nach innen. In Erwartung eines charismatischen Führers verkündet Spengler den spätzeitlichen Cäsarismus.
Wie eine Bombe schlug „Preußentum und Sozialismus“ 1919 ein; es begründete gewissermaßen die rechte Publizistik. Die Schrift war Marx-kritisch, nationalisierte das Wirtschaftsleben und schlug ganz unterschiedliche Formen von „Sozialismus“ vor. Das mag heute verblüffen. Doch war der typologische Diskurs über sozialistische Modelle damals geläufig. Werner Sombart faßte in seinem „Deutschen Sozialismus“ 1934 die Diskussion systematisch zusammen. In einer sorgfältigen Aufzählung kommt er auf sage und schreibe 187 verschiedene Sozialismen. Spengler kennt mindestens drei; sie ergeben sich aus einer Nationalisierung politischer Ordnungsfragen: spanisch, englisch, deutsch. Zentrales Streitthema sind Engländer und Preußen, die Polarität der „Händler und Helden“ (Sombart). Dem Typ des englischen, seine Interessen betreibenden Privatmanns wird der preußisch-deutsche Beamte entgegengestellt, der als Funktionär fürs Ganze wirkt. Preußentum, preußischer Gedanke und Stil werden definiert als „Summe von Tatsachensinn, Disziplin, Korpsgeist, Energie“ als „Versprechen der Zukunft“. Dieser Stil sei „ein Gemeingefühl nicht des Ruhens, sondern der Arbeit (…) für alle, für das Ganze, für den Staat“; seine Träger „oben Kamerad“, „in der Mitte Kollege“, „unten Genosse“; die Tätigkeit jedoch „Befehlen und Gehorchen in einer streng disziplinierten Gemeinschaft, heiße sie nun Staat, Partei, Arbeiterschaft, Offizierskorps oder Beamtentum, deren Diener jeder Zugehörige ohne Ausnahme ist“. Der staatlich festgesetzte Lohn „für jede Art von Arbeit“ werde „planmäßig abgestuft, im Interesse des Gesamtvolkes“. Als zukünftiger Hoffnungsträger zeichne sich der Soldat ab: So sei „in der Reichswehr ein neuer Organismus von innerer Disziplin entstand[en]. Der einzig fähige Mann, der erschien, war ein Soldat. In solchen militärisch-autoritativen Erfolgen (…) wird die deutsche Revolution fortgehen“.
„Deutscher Freiheitsbegriff“, die „Ideen von 1914“, preußisches Prinzip, Soldatentum, Plan und Kriegswirtschaft waren die Bestandteile des Spenglerschen Entwurfs, den die junge Rechte kreativ fortdachte.
Spenglers Ideen figurieren in einem geschichtsphilosophischen Kontext: Kulturseele und Entwicklungsgesetz bestimmen die Gegenwart. „Eine Idee ruht in der Tiefe jeder Kultur, die sich in bedeutungsschweren Worten ankündigt: (…) Wille, Kraft, Raum in den Sprachen des faustischen Menschen, der sich (…) durch seinen unersättlichen Willen nach Unendlichkeit auszeichnet, der mit dem Fernrohr die Dimensionen des Weltraums, mit Schienen und Drähten die der Erdoberfläche besiegt.“ Doch wie lange? – verwandelt sich doch „jede Kultur in Zivilisation. Was lebendig war, wird starr und kalt. (…) das Leben im Sinne des Meisters Eckhart wird zum Leben im Sinne der Nationalökonomie, Gewalt der Ideen wird Imperialismus“. Dieser Konnex von Kulturpessimismus und Machtoptimismus prägt Spenglers politisches Denken: Die Kultur ist tot, es lebe die Zivilisation!
Lag hierin Spenglers Schlüsselerlebnis, so das der jungen Generation im Weltkrieg, der Fronterfahrung. Auf sie wirkte die Schrift ungeheuer. So schrieb Gerhard Günther in dem von Ernst Jünger herausgegebenen „Kampf um das Reich“ 1929: „Wir, die wir damals aus der vollkommensten sozialistischen Organisation, dem preußischen Heere, heimkehrten, brachten die Eignung mit, uns der Bewegung anzuschließen, die, auf Selbstzucht und Gehorsam gegründet, den Sinn der Arbeit nicht im Erwerb, sondern im Dienste suchte und jener Gestaltung des Sozialismus zustrebte, die uns kurz darauf Spengler als die Vollendung des Preußentums deutete. War gar noch wie hier der Sinn für eine heroisch-nationale Politik anscheinend vorhanden, so war es möglich, vorhandene bürgerliche Hemmungen zu überwinden.“ Die Sympathie war gegenseitig, schließt „Preußentum und Sozialismus“ doch mit den Worten:
„Ich wende mich an die Jugend. Ich rufe alle die auf, die Mark in den Knochen und Blut in den Adern haben. Erzieht euch selbst! Werdet Männer! Wir brauchen keine Ideologen mehr, keine Gerede von Bildung und Weltbürgertum und geistiger Mission der Deutschen. Wir brauchen Härte, wir brauchen eine tapfere Skepsis, wir brauchen eine Klasse von sozialistischen Herrennaturen. Noch einmal: der Sozialismus bedeutet Macht, Macht und immer wieder Macht. Pläne und Gedanken sind nichts ohne Macht. Der Weg zur Macht ist vorgezeichnet: der wertvolle Teil der deutschen Arbeiterschaft in Verbindung mit den besten Trägern des altpreußischen Staatsgefühls, beide entschlossen zur Gründung eines streng sozialistischen Staates, zu einer Demokratisierung im preußischen Sinne, beide zusammengeschmiedet durch eine Einheit des Pflichtgefühls.“
1924 sprach er direkt zu Studenten, denen er die „Politischen Pflichten der deutschen Jugend“ erklärte: „Sich als Material für große Führer erziehen, in stolzer Entsagung, zu unpersönlicher Aufopferung bereit, das ist auch eine deutsche Tugend. Und gesetzt den Fall, daß in Deutschland in den schweren Zeiten, die uns bevorstehen, starke Männer zum Vorschein kommen (…) so müssen sie etwas haben, worauf sie sich stützen können (…) eine ergebene Gefolgschaft“, die fähig ist, „das Notwendige zu begreifen (…). Das (…) ist es, worin ich die politische Pflicht der heranwachsenden Jugend sehe“.
Nun, Ernst Jünger unternahm diese Selbsterziehung in ausgezeichneter Weise, biographisch für sich und publizistisch für sein Publikum, brachte er doch als Kriegsteilnehmer und Intellektueller die besten Voraussetzungen mit. In der oben skizzierten Motivik Spenglers waren auch seine eigenen Vorstellungen perspektivisch angelegt, auch da, wo sie (Imperialismus- und Technikkonzeption) über Spengler dann hinausgingen. Zunächst fällt an seiner Nachfolge auf, wie weitgehend er Spenglers Kulturkritik teilte. In einem gegenwartsanalytischen Beitrag für Niekischs Widerstand 1927 (2/4) finden sich die einschlägigen Gesichtspunkte zusammengefaßt:
„Im Lichte des ungebundenen Geistes wird das organische Bild der Welt zum mechanischen. Die Kultur wird zur Zivilisation. Schicksalsgemeinschaften werden zu zufälligen Zusammenwürfelungen von Menschen, zu Massen, bestenfalls zu Zweckverbänden. Vaterländer werden zu Verkehrshindernissen. Der sogenannte geistige Adel oder die geistigen Arbeiter, ein Heer von höchst beweglichen und gewissenlosen Gehirnen, arbeitet an der Zersetzung des Glaubens, der billigen Ironisierung des heroischen und der Unterwühlung jeder menschlichen Würde überhaupt (…) Die Kunst wird zu einer literarischen und intellektuellen Angelegenheit, zum Ausdruck flüchtiger Massenströmungen ohne Bodenständigkeit, ohne blutmäßige Kraft, ohne Eigenart.“
Dieser Befund wird mit Spengler weitergedacht. So heißt es 1934 im Schmerz-Traktat: „Die Katastrophe ist von pessimistischen, insbesondere von kulturpessimistischen Strömungen umringt. (…) Endlich gibt es den Pessimismus, der, obwohl wissend, daß das Niveau sich senkte, auch auf der neuen Ebene Größe für möglich hält und insbesondere der Beharrung, dem Halten des verlorenen Postens den Preis erteilt. Darin liegt Spenglers Verdienst.“ Während Spengler aber letztlich den Rückzug organisiert, übernimmt Jünger das zivilisatorische Faktum mit aller imperialistischen und technokratischen Konsequenz. Auch das hatte der Altmeister vorgezeichnet, wenn er als Kern der Geschichte den Kampf der Starken um die Weltherrschaft lehrte, als deren Hebel aber die Technik empfahl: „Wenn unter dem Eindruck dieses Buches“ – so las man im „Untergang“ – „sich die Menschen der neuen Generation der Technik statt der Lyrik, der Marine statt der Malerei zuwenden, so tun sie, was ich wünsche, und man kann ihnen nichts Besseres wünschen.“
Jünger und sein Kreis gaben dann letzte Vorbehalte auf. Hier deutet sich die Generationsdifferenz an. Zunächst überwogen noch Gemeinsamkeiten: die materialistische Anthropologie, die im Menschen das „Raubtier“ sah, die Schicksalsidee, die Bejahung der Gefahr, die Erkenntnis von der Wende des klassischen zum modernen Krieg, die Verwerfung aller bürgerlichen Werte, das morphologische Denken und der Antiuniversalismus, der den Wert des Besonderen betont. In diesem Sinn schreibt Jünger 1927 in Arminius (8/4), also noch vor der planetarischen Konzeption des „Arbeiters“:
„Wir Nationalisten glauben an keine allgemeinen Wahrheiten. Wir glauben an keine allgemeine Moral. Wir glauben an keine Menschheit als an ein Kollektivwesen mit zentralem Gewissen und einheitlichem Recht. Wir glauben vielmehr an ein schärfstes Bedingtsein von Wahrheit, Recht und Moral durch Zeit, Raum und Blut. Wir glauben an den Wert des Besonderen.“
Der Antiuniversalismus hat eine große Tradition in Deutschland. Gegen den nivellierenden Effekt des aufklärerischen Normativismus und den destruktiven der Revolution haben Denker von Herder bis Spengler aus einem Widerstandsimpuls heraus den Wert des Besonderen betont und gezeigt, daß der Weltgeist nicht abstrakt über den Verhältnissen oder dualistisch gegen sie stehe, sondern – aristotelisch – in der konkreten Erscheinung selbst sich ausdrücke. Noch Armin Mohler reflektiert diese Tradition mit seinem Nominalismus-Konzept. Die liebevolle Erkundung geschichtlich-kultureller Vielfalt bleibt freilich nur so lang ein Glück, als diese Pluralität im Rahmen einer größeren Synthese harmonisierbar bleibt. Panajotis Kondylis hat in diesem Sinn das altbürgerliche Weltbild rekonstruiert. Sobald jedoch die einheitstiftenden Prinzipien wegfallen, bleiben nur mehr vermittlungslose, entfremdete Einzeldinge übrig. Auch die eigene Position ist dann nicht mehr wahrheitsfähig, weshalb der Deutsche Idealismus auch stets die Dialektik von Universalität und Individualität betont hat. Im Ansturm der radikalen Ideologiekritik nach Marx, Nietzsche und Freud war nun die idealistische Synthese zusammengebrochen und wurde auch von Jungkonservativen nicht mehr geglaubt. Diese Ambivalenz von Pluralismus und Relativismus reflektieren recht präzis die beiden Schlußsätze des Jüngerschen Zitats.
Jedenfalls blieb hier der Ethnopluralismus ein wichtiger Aspekt der neuen Nationalisten. Während Spengler jedoch exklusiv an das alte Preußen anschloß, ist Jüngers Nationalismus durch futuristische Konzepte sowie die Gewalt- und Mythoslehre Sorels beeinflußt. Allerdings war beiden Autoren eine voluntaristische Wendung des Nationalen eigen. Das reflektieren Spenglers Konzepte: Zivilisation, Cäsarismus, Imperialismus. Technik war dafür das Mittel, das Spengler bejahte, doch letztlich tragisch sah – Jünger dagegen euphorisch begrüßte. Spengler nahm die Technisierung der Welt wahr, führte sie aber auf den faustischen Impuls der „weißen Rasse“ zurück. Auch die moderne Technik blieb für ihn an ein spezifisches „Seelentum“ gebunden. Die Globalisierung erschloß sich ihm nicht völlig; er blieb ein Gefangener seines Systems.
1924 schrieb Spengler im „Neubau des deutschen Reiches“: „Ein leitender Typus ist notwendig, der die schöpferischen Eigenschaften des Volkes im Hinblick auf seine geschichtliche Lage zusammenfaßt und herausbildet.“
Dies unternahm Jünger 1932 mit seinem „Arbeiter“, der Spenglersche Denkfiguren aufgriff, sie jedoch weitertrieb. Der Horizont ist nicht mehr national, sondern planetarisch. Den Nationen selbst wird der Kampf angekündigt. Es handelt sich nicht um die Perspektive eines integralen Nationalismus, sondern das Szenario eines Weltkampfs gegen die alte Epoche, humanistische Werte, bürgerliche Kultur und die Prinzipien des Individuellen, Persönlichen. Dem entspricht der Arbeiter, transnational eine universelle Gestalt, noch eher: eine Kollektivstruktur sein will. In ihm verschränkt Jünger den Soldaten und Frontkämpfer des Weltkriegs mit dem anonymen Werktätigen einer umfassenden Arbeitswelt. Diese verschmilzt Kampf und Technik, fordert rücksichtslose Weltdurchdringung und setzt so die Vision der totalitären Gesellschaft frei.
Den Paradigmenwechsel vom klassischen zum modernen Krieg erkannten beide, Spengler wie Jünger. Ziemlich genau benannte Spengler die Voraussetzungen, als er über die Vorkriegszeit schrieb: „So wurde die industrielle Großwirtschaft selbst zur Waffe; je leistungsfähiger sie war, desto entschiedener sicherte sie von vornherein den Erfolg. Jeder Hochofen, jede Maschinenfabrik verstärkte die Kriegsbereitschaft. Die Aussicht auf erfolgreiche Operationen wurde mehr und mehr abhängig von der Möglichkeit unumschränkten Materialverbrauchs (…).“ Als er seine imperialistischen Ideen vom Kampf um die Weltmacht formulierte (1933), spitzte er die Situation dualistisch zu. Seine Apokalyptik wurde zur diskursiven Abwehrschlacht gegen die beiden Revolutionen der Zeit, die „innere“ und „äußere“, die „weiße“ und die „farbige“, gegen die kommunistische Gefahr und die Befreiungskämpfe der Kolonialvölker. Damit holte ihn der Eurozentrismus ein. Der späte Spengler blieb letztlich ein wilhelminischer Denker, befangen im politischen Klima von 1900. So neigt man dazu, seine späte Position als Rückfall seines Konservativismus zum Reaktionären des Klassenkampfs zu deuten. Anders Jünger: Unbeeindruckt von Spenglers bürgerlichem Schrecken, war sein „Arbeiter“ selbst revolutionär. Er sandte das Werk dem Münchner Philosophen zu. Der blätterte den Band flüchtig an und schrieb dann (am 5. September 1932) Jünger, er befinde sich mit seinem Proletkult auf der falschen Fährte; das sei marxistisch – was ihm Jünger nie verziehen hat.
Als genauer Leser würde Spengler freilich seine Patenschaft erkannt haben. So schreibt Jünger in direkter Anspielung dort: „Ganz ohne Zweifel besitzt heute ein Kursbuch größere Bedeutung als die letzte Ausfaserung des einmaligen Erlebnisses durch den bürgerlichen Roman.“ Mit ein stimmt das von Nietzsche adaptierte, antihistoristische Motiv im 59. Kapitel: „Wir leben in einer Welt, die auf der einen Seite durchaus einer Werkstätte, auf der andern durchaus einem Museum gleicht.“ In der „musealen Landschaft“ herrsche eine „Erbauungsstimmung“, die „groteske Formen angenommen hat. Wir haben eine Art des historischen Fetischismus erreicht, die zum Mangel an Produktionskraft in einem direkten Verhältnis stehen. Es ist daher ein tröstlicher Gedanke, daß (…) der Ausbau großartiger Zerstörungsmittel gleichen Schritt (…) hält. Die nachfühlende und nachahmende Durchdringung (…) der Kunst-, Kultur-, und Bildungsbetrieb hat einen Umfang angenommen, der eine Gepäckerleichterung notwendig erscheinen läßt, die man sich gar nicht gründlich und umfassend genug vorstellen kann“.
In dieser Perspektive gerät selbst der Vordenker Spengler ins Zwielicht. Das 27. Kapitel rückt ihn in unbehagliche Nähe zum geschmäcklerischen Vergangenheitskult. „Die vergleichende Morphologie [ist] eine museale Angelegenheit, eine Beschäftigung für Sammler, Romantiker, Genießer im großen Stil. Die Mannigfaltigkeit vergangener Zeiten und entfernter Räume drängt sich als ein buntes und verführerisches Orchester auf, mit dem ein geschwächtes Leben nichts als die eigene Schwäche zu instrumentieren vermag. Die Unzulänglichkeit wird jedoch dadurch nicht zulänglicher, daß sie sich selbst in geborgten Löwenhäuten kritisiert.“ Vielmehr sei der Kulturpessimismus zu überwinden und von einem Standpunkt der Kälte aus zu betrachten. Denn, so lehrt Teil 61: „Der Einschnitt, der tief genug ist, um uns der alten Nabelstränge zu entledigen, kann in der nötigen Schärfe nur gezogen werden durch ein starkes Selbstbewußtsein, das in einer jungen und rücksichtslosen Führerschaft verkörpert ist. Je weniger Bildung (…) diese Schicht besitzt, desto besser wird es sein.“
Der schrille Ton zeigt die apokalyptische Rede an. Sie wurzelt im Fronterlebnis. Doch was geschah 1914? Merlios’ These besagt: daß sich der Kriegsfreiwille weniger aus Patriotismus denn aus Abenteuerlust zur Front meldete. Schnell habe sie sich verflüchtigt im Grauen von Materialschlacht und Stellungskrieg. „Aber Jünger machte eine fundamentale Erfahrung, die uns einen Schlüssel an die Hand gibt zum Verständnis des ganzen ersten Teils seines Werks: das war die Vergleichbarkeit des vitalen Impulses mit der technischen Rationalität. Der Landsknecht der Front hat sich die Technik einverleibt, bis sie ihm zur zweiten Natur wurde und ein wichtiges Hilfsmittel seines Willens zur Macht.“ (Études germaniques 1996, 51/4)
Erkannten Technikkritiker im 19. Jahrhundert schon „den zerstörenden Zugriff der Maschine auf den Menschen“, so Martin Meyer, wollten Jünger und die Futuristen hingegen „nur das demiurgische Potential der Technisierung“ erkennen. Das erlaubte die Verschmelzung des „Elementaren“, des menschlichen Blutes, und der mythisch geschauten Zivilisationsmacht: der planetarischen Technik. Spengler deutet auch dies an. Im 7. Kapitel seiner „Jahre der Entscheidung“ faßt er den typologischen Wandel des Krieges vom dynastischen Berufsheer zur allgemeinen Wehrpflicht, schließlich dem Weltkrieg:
„Daß dann in den Sturmangriffen dieser uniformierten Massen etwas ganz anderes zum Vorschein kam, eine prachtvolle, barbarische (…) Freude an Gefahr, Herrschaft und Sieg, der Rest von gesunder Rasse, das was noch von nordischem Heldentum in diesen Völkern lebte, war eine Erfahrung, welche die Schwärmer für ‚Menschenrechte‘ sehr bald machten. Das Blut war wieder einmal stärker als der Geist.“ Diese „Entfesselung elementarer Triebe“ zeigte einmal mehr, daß der „Kampf die Urtatsache des Lebens“ sei. Jünger führt diese Überlegung im „Arbeiter“ weiter und wird zum „vollgültigen Apokalyptiker“ (Kiesel).
Das Werk besitzt einen analytischen Überschuß, was es der bloßen Zeitverhaftung enthebt. Weshalb die Rezeption auf den Text ständig zurückkommt. Heutige Turbokapitalisten und Globalisierer könnten hier eine Blaupause vorfinden. So greift auch der historische Totalitarismusverdacht zu kurz, wenn Clemens Vollnhals im „Fall Spengler“ (1994) die Sicht auf 1933 verengt: „Die Aufhebung der liberalen Unterscheidung von Bourgeois und Citoyen im Typus des preußischem Beamten [bei Spengler] war, wenn man so will, eine noch bürgerliche Vision des totalen Staates, während der Frontkämpfer Ernst Jünger die vollständige Militarisierung der Gesellschaft im Typus des Arbeitersoldaten proklamierte.“
Näher kommt man Jünger, erkennt man im „Arbeiter“ das Bestreben, eine totalitäre Logik der modernen Welt aufzudecken, „deren Zwecke nur noch totale Dynamik und nihilistische Machentfaltung sind“, so G. Merlio („Intellektuellendiskurse in der Weimarer Republik“, 1994). Diese Logik ist nicht rein ableitbar aus dem faustisch-europäischen Drang. In den Figuren des Prometheus und der Titanen hat er dem modernen Willen zur Macht mythologischen Ursprung zugewiesen. Das vertiefte auch den agnostischen Spengler mit seiner geschichtsphilosophischen Lehre kultureller Archetypen. Trotz dessen suggestiver Beschreibungskunst im „Untergang“, ermangele er einer wirklichen Intuition der „Urbilder“ – so der Vorwurf des späteren Jünger, der sich freilich bis ins hohe Alter weiter mit dem Altmeister beschäftigen sollte.
Kurz läßt sich sagen: Nach 1945 gilt Ernst Jüngers wesentliches Interesse nur noch dem „Untergang des Abendlandes“; der politische Spengler ist passé. Inhaltlich gesehen treten damit kulturelle Fragen, Stilprobleme und geschichtsphilosophische Meditationen in den Vordergrund. Kulturkritik und Pessimismus sind nach wie vor aktuell, Spenglers Relativismus und Machteuphorie werden indes abgewiesen. Das geschichtlich-kulturell Partikulare wird zusammengesehen mit der welthistorischen Einheit des schöpferischen Menschen. Aus seinem nunmehr metaphysischen Ort relativieren sich die Befunde und Programme des vormals „heroischen Pessimisten“. In der „Friedenschrift“ lesen wir:
„Wenn die Bekämpfung des Nihilismus gelingen soll, so muß sie sich in der Brust des einzelnen vollziehen. Ein jeder war mitschuldig, und es gibt keinen, der nicht der Heilung bedürfte, die durch die Welt des Schmerzes vorbereitet ist.
Hierzu ist nötig, daß auch im Leben des einzelnen die Technik in ihr Gebiet verwiesen wird, genauso wie es in der Staatsverfassung geschehen muß. Die Mittel und Methoden des technischen Denkens dürfen nicht dorthin übergreifen, wo dem Menschen Glück, Liebe und Heil erwachsen soll. Es müssen die geistig-titanischen Kräfte von den menschlichen und göttlichen getrennt und ihnen unterstellt werden.
Das ist nur möglich, wenn die Menschen sich metaphysisch stärken im gleichen Maße, in dem die Technik wächst. Und hier beginnt das weite, unangebaute Feld der neuen Theologie, als erster Wissenschaft, als Kenntnis der tiefsten Gründe der höchsten Ordnung, nach der die Welt geschaffen ist.“
Vor diesem Hintergrund greift die Spengler-Auseinandersetzung in „An der Zeitmauer“ (1959) noch einmal das Problem der Technik auf. Jünger kommentiert dessen Zivilisationsthese: „Seitdem hat sich die Bedrohung durch die technische Katastrophe immer enger dem Bewußtsein der Völker und der Einzelnen verknüpft. Ununterbrochen ist die Zahl der Opfer angewachsen, die so gebracht werden. Auch kollektive Vorgänge wie Kriege, Bürgerkriege und Großexperimente nehmen die Form der technischen Katastrophe an. Da liegt es nahe, daß auch der Weltuntergang in dieser Form begriffen wird.“ Von da aus ergibt sich ein ganz neuer Wert kulturellen Schaffens und der historischen Erinnerung. In ausdrücklicher Umkehrung seiner jugendlich futuristischen Zerstörungslust heißt es nun dort: „Wir können daher auch Oswald Spengler nicht zustimmen in seiner Aufforderung an die neue Generation, sich der Technik statt der Lyrik, der Marine statt der Malerei, der Politik statt der Erkenntniskritik zuzuwenden – obwohl man gewiß vorm Sprung das Überflüssige ablegen muß. Wir alle haben es, mehr oder minder widerstrebend, gemußt. Aber das Gedicht gehört zum Wesen des Menschen, nicht zum Gepäck. Es bleibt sein Ausweis, sein Kennzeichen, sein Losungswort.“ Jünger knüpft hier an eigene und an explizite Formulierungen Spenglers an. Der wird jetzt goethesch aufgehoben. Jünger bringt das relativistische Dezifit auf den Punkt: „Es bleibt die Frage nach der inneren Einheit der mannigfaltigen Erscheinungen und Abläufe über die Ähnlichkeit hinaus. (
) So gleich seine Morphologie der Weltgeschichte einem vorzüglichen Gruppenbild von acht Brüdern, die sowohl untereinander verschieden als einander ähnlich sind. Dürfte man noch den Vater kennen oder auch nur auf ihn schließen, so hätte man das innere Band. (
) Zudem jedoch ist Goethes morphologisches Genie durch ein synoptisches erhöht. Er hätte bei gleichem Unterfangen die Bäume nicht nur in ihrer Mannigfaltigkeit, sondern auch in ihrer Einheit, als Urpflanze zu erfassen versucht. Die Hauptgefahr der Morphologie liegt darin, daß man den Wald vor den Bäumen nicht sieht.“
Trotz allem hat stets das zyklische Denken seine Zustimmung gefunden. Spengler hatte ja das lineare Entwicklungs- und Fortschrittsdenken in die zyklische Denkform aufgehoben, war aber beim geschichtlichen Kulturpluriversum stehengeblieben. So formuliert Jüngers späte Zeitreflexion folgende Kritik: „Oswald Spengler beschränkte seine zyklische Betrachtung auf die Geschichte und im besonderen auf die Kulturen – also auf eine winzige Spanne, verglichen mit jenen der belebten oder gar der unbelebten Natur. Es ist aber möglich und sogar wahrscheinlich, daß größere Zyklen rotieren …“ (1. November 1992) Das wandeln andere Alterstexte ab, die zugleich an Spenglers Kulturkritik festhalten:
„Daß sich in unserer heutigen Geschichte die Zeit der Schlacht von Actium und des Cäsarismus wiederholt, hat Spengler gut und, wie ich meine, richtig gesehen. Zu den Symptomen zählen die weltweiten Händel, die Vernichtung des Bauernstandes, die Latifundien, die großstädtischen Massen, Brot und Spiele, die Vergötterung von Einzelnen. Auch die Raumflüge ließen sich noch einordnen: der Geist strebt über die bekannte Welt, die Säulen des Herakles hinaus. Neuartig sind geologische und atmosphärische Veränderungen
Daher auch der Eindruck, daß wir den Rahmen der Weltgeschichte verlassen haben und von erdgeschichtlichen Bewegungen erfaßt werden.“ (3. April 1982)
Zum Alter gehörten die zahlreichen Reisen, die Jünger reiche Anschauung der Weltkulturen (auch im Sog globaler Modernisierung) boten. Dazu paßt es gut, daß er beim Flug über die Kontinente über Spengler und Toynbee meditierte. (18. März 1979)
Besonders schön tritt die Langzeitwirkung Spenglers in der kunst- und kulturhistorischen Reflexion hervor. So in großen Texten des Tagebuchs „Siebzig verweht I“ vom August 1965, als Jünger in Japan weilte. Bemerkenswerte Reflexionen hat er uns da hinterlassen aus Kyoto, der alten Kaiserstadt. In der Charakteristik, dem Vergleich von Bauten, im Hinblick auf ästhetische Muster und Stilformen arbeitet er analytisch mit Spenglerschen Rastern, so der Gleichzeitigkeit. Ihm fällt das Unzulängliche von dessen Schematisierungen auf. Die Unstimmigkeit „relativer“ Gleichzeitigkeiten gelte es zu überholen. „Es gibt jedoch nicht nur eine relative, sondern auch eine absolute Gleichzeitigkeit. Die menschlichen Kulturen sind zwar auf der Oberfläche autonom; sie reichen aber tief in den Bios und den Kosmos hinein. Auch dort sind Abläufe. (
) Alle Geschichte ist unsere Geschichte, von Herodot und Thukydides bis zu Ranke und Spengler.“ (3.–12. August 1965)