In der deutschen Vergangenheitsbewältigung entsteht immer der Eindruck, daß die deutschen Lehrstuhlinhaber der NS-Regierung samt und sonders hilfsbereit entgegengekommen seien. Natürlich räumt man Ausnahmen ein, zu denen die schon ausgegrenzten Juden und namhafte linksgerichtete Professoren gezählt werden, die sich weigerten, den Sturz ins Dunkel mitzumachen oder den Weg dazu zu ebnen. Doch laut gängiger Auffassung standen die meisten Professoren mit dem deutschnationalen Neubeginn in glücklichem Einvernehmen. Wegen einer schon längst verbreiteten antiliberalen Gesinnung hätten die deutschen Fakultäten kaum versucht, der Neuordnung standzuhalten. Im Gegenteil hätten sie sich bemüht, nationalsozialistischen Vorgaben Folge zu leisten und deren Opfer weiter an den Rand zu drängen.
So sieht die maßgebliche Deutung dieser Seite des deutschen Sündenregisters aus. Dem zum Trotz belegt das 2002 gedruckte zweibändige Buch „Die deutsche Universitätsphilosophie: In der Weimarer Republik und im Dritten Reich“ von Christian Tilitzki, daß die Reaktionen der universitären Amtsträger auf die nationalsozialistische Gewaltherrschaft weitaus breiter gefächert und abgestufter waren, als heute angenommen. Die Fakultäten haben sich den Nationalsozialisten gegenüber nicht überall gleich verhalten, und auch wenn sie nicht in einer Geste des Protests ostentativ von ihren Lehrstühlen zurückgetreten sind, hat die Professorenschaft den nationalsozialistischen Eingriff doch kritisch gesehen oder gern unterlaufen.
Aus Tilitzkis umfangreicher Untersuchung aller Berufungen von Philosophieprofessoren an deutsche Universitäten seit dem Ende des Ersten Weltkriegs und durch die NS-Epoche hindurch ergibt sich folgendes: Nur eine wechselnde Minderheit der Berufenen war mit den betont nationalistischen Parteien zu identifizieren. Die meisten Professoren und auch diejenigen, die schließlich in das Rektorat aufrückten, haben sich politisch nicht intensiv geäußert. Der linksliberal gesinnte jüdische Kantianer Ernst Cassirer hat es 1931 zu einem Rektorat an der Universität Hamburg gebracht. Der Neukantianer in Marburg, Paul Natorp, stand dem Spartakusbund und der Räteregierung sehr nahe, und ein anderer sozialistischer Universitätsphilosoph, Ernst von Aster, der mit staatlicher Förderung nach Gießen berufen wurde, war sowohl engagierter Pazifist im Ersten Weltkrieg wie auch einer der Gründervater der Liga für Menschenrechte, des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus und der Liga für den Völkerbund.
Tilitzki belegt, daß bei vielen dieser Ernennungen das überwiegend von Sozialdemokraten besetzte preußische Kultusministerium eine nennenswerte Rolle spielte. Zu diesem Kreis gehörten die sozialdemokratischen Minister Carl Heinrich Becker und Adolf Grimme.* Nicht verwunderlich ist es daher, daß ein bedeutender Teil der Berufenen entweder sozialdemokratisch oder linksliberal ausgerichtet war. Im Juni 1920 schaltete sich der sozialdemokratische Kultusminister Becker bei der Ernennung eines ordentlichen Professors in Gießen ein, um der Fakultät den Kandidaten Aster aufzuzwingen. Der bis dahin Favorisierte aber war kein Deutschnationaler, sondern der linksliberale Geschichtsphilosoph Karl Jaspers.
Ein vielsagendes Beispiel für den Eingriff des sozialdemokratisch besetzten Kultusministeriums bietet die im Jahre 1930 erfolgte Vergabe eines Lehrstuhls an den um ein Ordinariat an der Universität Breslau werbenden Sozialdemokraten Siegfried Marck. Der für die Ernennung verantwortliche Fakultätsausschuß ordnete den geborenen Breslauer Marck anderen, dem Ausschuß eher zusagenden Bewerbern nach. Die übrigen schienen bessere Voraussetzungen zu haben, um den Unterricht nach den vorgeschriebenen philosophischen und psychologischen Lehrinhalten durchzuführen. Beckers Nachfolger Adolf Grimme, der sich mit Parteiführern ins Benehmen gesetzt hatte, entschied jedoch, einem Parteimitglied, nämlich Marck, die Professur zu geben. Daraufhin drängte der entschlossene Kultusminister den Fakultätsausschuß in Gießen zur Zustimmung.
Obwohl die Heranziehung von Martin Heidegger als Gutachter eine vermeintlich untergründige antisemitische Seite der Zuständigen zu entlarven scheint, da Marck jüdischer Herkunft war und Heidegger später der NS-Bewegung beitrat, besteht für diesen Verdacht kein ausreichender Anhaltspunkt. Zu den von Heidegger empfohlenen Kandidaten zählten zwei jüdische Habilitanden. Jedenfalls war er zu einer Beurteilung angesichts der Tatsache berechtigt, daß sich Marck für einen tiefgreifenden Deuter des Heideggerschen Werks „Sein und Zeit“ hielt, auch wenn er bis dahin nur wenig darüber veröffentlicht hatte.
Obwohl Tilitzki aufzeigt, daß sich das philosophische Lehrpersonal von der Dozentenschaft aufwärts „weltanschaulich“ einteilen läßt, ist daraus nicht auf eine spezifische Parteinahme zu schließen. Die meisten katholischen und der Ganzheitslehre Othmar Spanns verbundenen Akademiker lehrten eine mittelalterliche Ordnungslehre, die den liberalen Individualismus deutlich ausschließt. Ebenso sind sie regelmäßig mit der katholischen Zentrumspartei verbunden, obwohl hinzugesetzt werden muß, daß diese Zuordnung eher eine Glaubensgemeinschaft als einen parteipolitischen Bezug bedeutete.
Während, wie Tilitzki ausführt, die Berufskatholiken der Regierung aus dem Weg gegangen sind, haben die betont katholischen Professoren gegenüber Hitler keinerlei Sympathie bekundet. Von vornherein stritten sie mit den NS-Theoretikern über den naturrechtlich zulässigen Umfang des staatlichen Geltungsbereichs. Den Verfechtern einer gegliederten Staatsordnung mißfiel der von den Nationalsozialisten bevorzugte Führerstaat. Der Gründer der nationalsozialistisch geprägten Stiftung des „Instituts für Politische Pädagogik“, Alfred Bäumler, hat viel kämpferischen Geist gegen die Neuscholastiker und Spann-Anhänger aufbieten müssen.
Tilitzki widmet Bäumler eine umfangreiche Behandlung, wonach der langjährige NSDAP-Anhänger als Vorzeigeparteimitglied an der Universität Berlin gegolten hat. Zu beachten ist, daß Bäumler mit seiner Rassenideologie selten erfolgreich gewesen ist. Kollegen wie Eduard Spranger in der Geisteswissenschaft und Psychologie und Nicolai Hartmann, der sich mit hochtheoretischen Wertlehren und melancholischen Zeitkritiken befaßte, haben die Zielsetzung der NS-Ideologen stets abgelehnt. Beide haben nie gezögert, jüdischstämmige und marxistische Doktoranden zu habilitieren, vorausgesetzt, daß sie als tauglich galten. Diese beiden achtbaren Gelehrten und andere waren umgekehrt auch bereit, glühende Nazis, die fragwürdige Thesen vertraten, abblitzen zu lassen. 1941 bekundete Hartmann, daß er Habilitanden mit Parteihintergrund nicht mehr annehmen würde.
Ein vom SS-Sicherheitsdienst 1941/1942 erstatteter „Philosophischer Report“ erklärt, daß nur eine Minderheit der amtierenden Professoren als parteifreundlich einzuordnen sei. Die meisten waren im Gegensatz zum weiterhin „politisch positiven Martin Heidegger“ entweder „indifferent“ oder, wie Spranger, „liberal“. Seltsam erscheint, daß Spranger und Hartmann, die schon lange als „deutschnational“ eingestuft worden waren, in der NS-Zeit ohne ersichtlichen Grund in der linken Ecke landeten. Tilitzki entschlüpft ein beißender Witz, als er feststellt: Man mußte bis nach 1945 warten, um eine ideologisch gleichförmige Universitätslandschaft in Deutschland zu schaffen.
Man hat an Tilitzkis Darstellungsweise kritisiert, daß er versucht, Abstufungen des Mitläufertums bei der Professorenschaft und, weniger ausführlich, auch bei den Fachschaften „überzubetonen“. Alles zusammengenommen, ist seine Sichtweise jedoch vertretbar, wenn man berücksichtigt, daß die meisten Professoren, die nach 1933 in ihren Stellen bleiben wollten, sich den veränderten Umständen anpassen mußten. Die Gretchenfrage lautet also, in welchem Umfang ihre jeweiligen Weltanschauungen und Fachgebiete mit den NS-pädagogischen Absichten in Einklang gebracht werden konnten.
Wenn man Tilitzkis Belege und Quellenauswertungen in Augenschein nimmt, dann muß man zu dem Schluß kommen, daß die erwartete Übereinstimmung nur selten zu bemerken ist. Die in Alfred Rosenbergs Dienststelle, dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, befindlichen Gutachter und die sachdienlichen Einlassungen von Alfred Bäumler bezeugen, wie „ungelehrig“ und „arbeitsuntauglich“ die Reichserzieherschaft sich verhalten hat. Die Betreffenden hätten gar keinen Begriff, wie eine ausgeprägte nationalsozialistische Rassenkunde auszusehen habe. So dumm seien diese Mitläufer, daß sie mit Ansichten auftrumpfen wollten, die der Parteilinie entgegenständen.
Ein Teilnehmer an einer öffentlich bezuschußten Tagung hebt das Ariertum vom Judentum auf folgende, erstaunliche Weise ab: Die Juden hätten einen volksbeschützenden, auf sie eingestimmten Sittenkodex entwickelt, während die Arier artgemäß eine überall geltende, universal anwendbare Moralität eingeführt haben. Auch der parteifreundliche Gerhard Lehmann stellte die Meinung in den NS-Monatsheften heraus, daß der Nationalsozialismus eine „sich stets wandelnde Gesellschaft, eine offene Kultur erfordert“. Im Unterschied zu der geschlossenen Gemeinschaft der Juden streben die heutigen Arier unter NS-Steuerung an, eine offene Welt aufzubauen, „so offen, daß Homosexualität und politisch aktualisierender Feminismus zu tolerieren seien“.
Andere, von Carl Schmitt mitgeprägte Denker gerieten nach den Angaben der NS-Dienstleister gleichermaßen auf den Holzweg. Sie sännen darauf, den Akzent von der neu angetretenen deutschen Regierung auf die Staatspolitik zu verlagern, und demzufolge stufen sie die jüdische Gefahr zur Nebensache herab. Kein Wunder, daß die entsprechenden Konferenzen nie „einen antijüdischen Rassebegriff“ ergeben haben oder daß sie, so Tilitzki, nie an „eine definitorische Eindeutigkeit bei der Bestimmung des Juden“ herangekommen sind.
Es gibt keinen Grund zu meinen, daß Tilitzki diese Mitläufer zu Helden erheben will, oder daß er seinen Lesern verschweigt, wer für die Nationalsozialisten an den Universitäten geworben hat. Dazu gehören Ernst Krieck, Max Wundt, Theodor Haering, Karl Georg Kuhn, Ferdinand Weinhandl, Hans Heyse, Alfred Bäumler und zeitweise Martin Heidegger und Ernst Jaensch. (Fritz Fischer, der in Hamburg seine Kollegen für die NS-Regierung bespitzelte, fehlt bei dieser Auflistung insofern, als er Geschichte lehrte und nicht Philosophie.) Tilitzki hebt auch die Tatsache hervor, daß die Zuständigen der Partei die gefügigen Universitätslehrer als akademische Ratgeber hinzuzogen, als sie ideologische Werke wie ein Lexikon des Antisemitismus auflegten.
In erster Linie beschäftigt sich Tilitzki mit Widerlegungsarbeit. Er bestreitet die modische Gewohnheit, Professoren, die sich nicht als linke Antifaschisten profiliert haben, gleich als NS-Denker einzuordnen. Er stellt unter Beweis, daß eine Vielzahl der damaligen strebsamen Nutznießer von keiner echten Parteiorientierung geprägt war und sich nur bemühten, aus ihrem jeweiligen Sachgebietswinkel eine „parteikonforme, pädagogische Praxis“ abzuleiten.
Bei den erschwerten Umständen hat die Regierung, wie Tilitzki nachweist, keine großen Summen für NS-Pädagogik ausgeben wollen. Im Gegensatz zu den heutigen antifaschistischen Meinungswächtern haben die Nationalsozialisten den Universitäten keine gesteigerte kontrollierende Aufmerksamkeit entgegengebracht. Sie waren mit Reichserweiterung und Judenverfolgung weitaus mehr als mit der „Gehirnwäsche“ beschäftigt. Es ist offenbar eine unbewiesene Behauptung, daß zwischen der Grausamkeit einer Staatsform und der strengen Überwachung des Meinungsspektrums ein notwendiger Zusammenhang besteht.
Der später weltbekannte Philosoph Hans-Georg Gadamer, der während des Dritten Reiches promovierte und dann eine Stelle erhielt, vermerkte, daß nach Kriegsbeginn jede Bemühung seitens der Regierung, die weltanschauliche Zusammensetzung der Professorenschaft zu bestimmen, abgeebbt ist. Was Gadamer als die „Terrorisierung“ der Fakultäten durch die Partei darstellt, wurde in der folgenden Kriegsnot wohltuend vernachlässigt. Nicht parteilich beglaubigte Bewerber wie Gadamer und der mit einem marxistischen Hintergrund belastete, spätere Hegelianer Joachim Ritter sind damals berufen worden oder aufgerückt. Das gleiche gilt für den Soziologen Helmut Schelsky und für Arnold Gehlen, die sich immer auf Distanz zu parteilichen Eiferern gehalten haben.
Aus Tilitzkis Buch geht hervor, daß die Stimmungsmacher in der Partei sich dazu entschlossen, parteinahe Erziehung mit verhaltener universitärer Beteiligung zu veranstalten. Es kam zu einer Abfolge von Tagungen für sympathisierende Volkserzieher, die die NS-Regierung als Möglichkeit des Gedankenaustauschs ausgebaut hat. In den Friedensjahren haben sich Parteibeamte als Gönner in einer Vielzahl von Vereinen wie der Kant-Gesellschaft und der Deutschen Philosophischen Gesellschaft sowie, durch Zwangsumbesetzungen der Redaktionen, wissenschaftlicher Zeitschriften betätigt.
In den Kriegsjahren geschahen NS-Eingriffe stellenweise weniger versteckt. Der Grund liegt in einer Lichtung der Reihen bei der Studenten- und Lehrerschaft. Auch das Mißtrauen gegen die Professorenschaft spielte mit. Wünschenswerter erschien es den Zuständigen jedoch, Parteifreunde für volkspägogische Ziele anzuwerben, statt sich mit renitenten oder allzu fachlich eingeengten Universitätsprofessoren abmühen zu müssen. Als Rosenberg und Bäumler entschieden, einen „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“ für interessierte Erzieher anzustoßen, ordneten sie den neu gegründeten Verein der Partei unter. Und als die kriegsgepeinigte deutsche Regierung einen letzten Versuch machte, ihre Volkspädagogik voranzutreiben, wurde beschlossen, von den Hochschulen erbetene Gelder zu beschneiden und die Universitäten in Bausch und Bogen zuzusperren.
Relevant erscheint auch, daß die ideologisch belasteten Fakultäten in den westlichen Ländern mit einer deprimierenden Regelmäßigkeit vor der bestehenden universitären und staatlichen Obrigkeit kuschen, ohne mit ähnlichen Bedrohungen rechnen zu müssen, wie sie die Nationalsozialisten gegen ihre Kritiker an den Tag legten. Die vereinzelten Unangepassten an meiner Lehranstalt sind keinesfalls der Gefahr ausgesetzt, abgesetzt oder in ein Konzentrationslager geschickt zu werden. Trotzdem stimmen die Professoren mit wenigen Ausnahmen den von oben erlassenen Bestimmungen zu, angefangen bei der Vorschrift, den Studenten multikulturelle Einstellungen beizubringen. Wenn die Verwaltung Märchen über die Schikanierung farbiger Studenten erfindet, um ihre Politik zu rechtfertigen, machen die Professoren dem Publikum vor, diese sogenannten Mißstände beobachtet zu haben.
Es versteht sich, daß die Verwaltung den zuweilen auftretenden Abweichlern nicht mit Gewalt droht, und daß der Rektor bislang gar nichts unternimmt, um der mickrigen Opposition ihre Stellen zu entziehen. Was sich entwickelt, ist die Schweigespirale, welcher sich unsere zimperlichen Durchschnittsprofessoren, wie vorauszusehen, beugen. Wer sich traut, aus dieser Spirale auszubrechen, den machen die anderen schlecht. Man kann sich nur vorstellen, wie besagte Akademiker sich verhalten würden, wenn die Kosten so steigen würden, wie es in der Zeit des Nationalsozialismus der Fall war.
Wie in den USA, so sieht es mit Blick auf die „PC“, sprich politische Korrektheit, auch im heutigen Deutschland aus. In der seelisch und gefühlsmäßig noch bestehenden Besatzungszone wird es schon zur Freveltat, das deutsche Volk anders darzustellen als kampflustig und rundum antisemitisch. Zu den herrschenden Dogmen gehört es, daß am Ende der Weimarer Republik die meisten beamteten Professoren voller Sympathie für die Nationalsozialisten waren. Schädlich ist es für jeden, der an einer Hochschule vorankommen will, dieses Vorurteil zu bestreiten. Daher ist es nicht verwunderlich, daß Tilitzkis Riesenwerk in der Presse und beim akademischen Betrieb nicht gut ankommt.
Der Versuch, diese Mammutarbeit als „unseriös“ abzuurteilen und den Umfang des Themas als Beweis der Lächerlichkeit hinzustellen, ist schieres Ablenkungsmittel. Die Kritiker enthüllen ihre Absicht, wenn sie dem Werk eine inhaltlich angemessene Beachtung absprechen.** Sie wollen von bequemen Schablonen keineswegs abrücken, und dies umso weniger, wenn kein beruflicher oder finanzieller Gewinn daraus zu schlagen ist. Es ist für ihresgleichen nicht denkbar, daß die aufgezählten Berufungen Spuren eines antisemitischen Affekts eher während der Weimarer Republik verraten als während der NS-Zeit. Natürlich hat ihre ursprüngliche weltanschauliche Orientierung nicht verhindert, daß die nicht als „jüdisch versippt“ eingestuften Dozenten und Ordinarien nach 1933 verschiedentlich den Weg über das Mitläufertum eingeschlagen haben. Doch diese berufliche Zielstrebigkeit besagt nicht, daß die Akteure die Nazis mit Freude begrüßt haben. Verkehrt wäre es, Karrieremacherei oder Zukunftsangst mit weltanschaulichem Einverständnis zu verwechseln.
Obwohl Tilitzki sein Forschungsfeld auf die Philosophiefakultäten begrenzt, wäre es kaum verfehlt, seine Resultate auf andere Fakultäten auszudehnen. Beachtenswert ist es, daß die Umstände, die zu den von Tilitzki besprochenen Berufungen geführt haben, auch bei anderen universitären Berufungen eingetreten sind. Die Dachbezeichnung „Philosophie“ im Weimarer Hochschulwesen verknüpfte eine Reihe von Fächern inklusive der Pädagogik, weltanschaulicher Studien, der formalen Logik und naturwissenschaftlicher und mathematischer Erkenntnisse.
Auf eine unbefangene akademische Bewertung seiner wertvollen Befunde muß Tilitzki leider immer noch warten.
*Zur Zeit der Weimarer Republik wurde der Großteil der außerhalb Süddeutschlands liegenden deutschen Landesfläche mit der entsprechenden Bevölkerung preußisch verwaltet. Hinzu kommt, daß alle zwischen 1919 und 1932 amtierenden Regierungen im Land Preußen von den Sozialdemokraten gestellt oder mehrheitlich mitgestaltet wurden.
** Tilitzki liefert seinen Opponenten brisante Munition, wenn er in seiner relativ kurzgefaßten Einleitung die „Schablonisierung“ in der Geschichtsschreibung über den Zweiten Weltkriegs anprangert. Er kritisiert die einseitige Schuldzuschreibung an die Adresse der Hitler-Regierung bei den vorherrschenden Interpretationen des Kriegsausbruchs. Auf eine anderslautende Erklärung geht Tilitzki, abgesehen von vereinzelten Hinweisen, im Hinblick auf die Auseinandersetzung zwischen den westlichen kapitalistischen Imperien und deren aufsteigenden Widersachern nicht ein. Obwohl solche Randbemerkungen nicht zum Kern seines Werkes gehören, erlauben sie übelwollenden Journalisten, Tilitzki als hartgesottenen Rechtsextremisten abzuqualifizieren.